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Unrühmliche Kündigung nach 61 Jahren

■ Pöseldorf: Kleingewerbe wird aus denkmalgeschützten Reihenhäusern vertrieben

Am 12. Juni 1935 wurde die Existenzgründung der Familien-Schusterei Hauswald feierlich besiegelt: Der Vertrag über „Vermietung von Werkstatt, Laden und Wohnung“ in der Straße Bei St. Johannis in Pöseldorf war unterschrieben. Auf den Tag genau 61 Jahre später ist dem Schuhmacher-Sohn Otto Hauswald jetzt „ein ganz unrühmliches Kündigungsschreiben“ ins Haus geflattert, wirksam zum 30. September: Der 70jährige Inhaber des ehedem elterlichen Unternehmens soll seinen kuriosen Laden mit antiquierten Schnürsenkeln, baumelnden Schuhen und einer schwarz-weißen Katze im Schaufenster dicht machen. „Mit Klauen und Zähnen“ will sich der Rentner dagegen wehren. „Schließlich“, erklärt er, „wurden hier schon Schuhe von Berühmtheiten wie Hardy Krüger repariert.“

„Wir müssen der städtischen Auflage nachkommen und die gesamte Häuserzeile sanieren, bevor der Winter kommt“, rechtfertigt Heinrich Pahls die „fristgerechte Kündigung“. Pahls ist Geschäftsführer der Ärzteversorgung Niedersachsen (ÄN), die die niedlichen, denkmalgeschützten Pöseldorfer Reihenhäuschen (Baujahr 1842) jüngst von der Bochumer Aral Aktiengesellschaft gekauft hat. Auch das benachbarte Antiquitäten-Geschäft soll ausziehen. Die neue Eigentümerin muß die maroden Gebäude von Grund auf instandsetzen, bestätigt das Amt für Denkmalschutz. „Danach“, will Pahls nichts von Verdrängung wissen, „können die alten Mieter natürlich zurückkehren.“

Sofern sie sich die neue Miete leisten können: Otto Hauswald zahlt nach eigenen Angaben derzeit 440 Mark monatlich für seinen Laden. Daß das nicht den „marktüblichen Preisen“ entspricht, die der ÄN vorschweben, ist ihm klar. Doch die Schusterei – wie viele kleine Läden und Gewerbebetriebe auch – wirft eben nicht mehr ab. „Subventionieren werden wir die Miete deshalb nicht“, sagt Geschäftsmann Pahls. Schließlich koste die Sanierung sein Unternehmen „mindestens eine Million“. Daß der zusätzlich geplante Wohnungs- und Büro-Neubau auf dem benachbarten Grundstück – die dortige Aral-Tankstelle soll 1997 abgerissen werden – diese Ausgaben schnell erwirtschaften dürfte, findet Pahls unerheblich.

Außer Beileidsbekundungen sehen die Behörden keine Möglichkeit, das drohende Sterben der Schusterei zu verhindern: Für Gewerberäume existiert kein Mietenspiegel, der Höchstpreise festlegen würde. „Das ist wie in Wild-West“, weiß Baubehörden-Sprecher Jürgen Asmussen. Heike Haarhoff

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