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Schwierige Hilfe für die geteilte Stadt

■ Die Bilanz der EU-Unterstützung für Mostar: Viele Projekte halfen den Bewohnern in beiden Hälften der Stadt – doch manche festigten die Teilung

Im Mai 1992 kam Hans Koschnick das erste Mal nach Mostar. In seinem Gepäck hatte der ehemalige Bremer Bürgermeister den Auftrag, die Möglichkeiten zu sondieren, eine Verwaltung der Europäischen Union in der Stadt zu etablieren. Das Zentrum der Stadt war durch den Krieg völlig zerstört; vor allem im muslimischen Ostteil Mostars hungerten die Menschen. Die Infrastruktur funktionierte nicht mehr, für Wasser, Strom und Gas mußte gesorgt werden, die Industrie und die anderen Betriebe produzierten kaum noch etwas. Der Krieg und die Vertreibungen hatten tiefe Spuren im Bewußtsein der Bevölkerung hinterlassen: Beide Seiten, die kroatische und die muslimische, waren verunsichert und voller Mißtrauen. Und die politischen Parteien, die den Krieg geführt hatten, waren diesseits und jenseits weiterhin an der Macht.

Die Europäer wollten helfen, zumal nach dem Washingtoner Abkommen vom März 1994, das den Krieg zwischen bosnischen Muslimen und Kroaten beendet hatte. Und sie wollten mit Mostar für einen friedlichen Neuanfang im gesamten Bosnien-Herzegowina werben. Die Administration der EU, die am 22. April 1994 in das Hotel Ero – einem relativ unbeschädigten Altersheim – einzog, sollte die Teilung der Stadt überwinden helfen und den Wiederaufbau der Stadt organisieren.

Beamte aus mehr als einem Dutzend Länder arbeiteten hier. Das Sprachengewirr im Hotel Ero war in zweierlei Hinsicht ein Ausdruck für das Experiment, das da begonnen werden sollte: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte baute die Europäische Union eine Verwaltung außerhalb ihres eigenen Gebietes auf. Vor allem aber signalisierte ihre Multikulturalität, daß es ihr ernst mit dem Anspruch war, die multikulturelle Identität der vor dem Krieg 100.000 Menschen zählenden Stadt Mostar wiederherzustellen. Hans Koschnick stand für diesen Geist.

Die Arbeit begann. Wasserleitungen wurden gebaut, Flüchtlingsunterkünfte errichtet, Dächer repariert. Und Brücken über die Neretva sollten beide Stadthälften wieder verbinden – ein Symbol für das Zusammenwachsen der Stadt. Die Administration versuchte, etablierte Organisationen für diese Aufgaben zu gewinnen. So engagierte sich gerade beim Wiederaufbau die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit GTZ ebenso wie die britische Schwesterorganisation ODA. Hunderte von humanitären Organisationen siedelten sich unter dem Dach von UNHCR, dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, an. Auch kleinere Projekte hatten eine Chance. Die deutsche Schülerorganisation „Schüler helfen leben“ zum Beispiel betreut Jugendliche auf beiden Seiten Mostars. Die Administration begann, die Aktivitäten der Hilfsorganisationen zu koordinieren und zu bündeln.

Nach einem Jahr waren wesentliche Ziele erreicht. Die Strom-, Gas- und Wasserversorgung war in der ganzen Stadt wiederhergestellt. Bald kritisierten viele Bewohner die Administration, durch den Aufbau von zwei Wasserversorgungssystemen oder zwei Elektrizitätssystemen die Teilung der Stadt zu zementieren. Um den Menschen zu helfen, war es jedoch notwendig, die bürokratischen Hürden vor allem der kroatischen Seite zu umgehen, die manche Projekte verhindern wollte. Daß weiterhin die unsichtbare Grenze bestehen blieb, lag außerhalb der Macht der Administration. Indem Hans Koschnick im April dieses Jahres von der EU fallengelassen wurde, gab sie zudem ein falsches Signal an die radikalen Politiker des kroatisch kontrollierten Westens der Stadt.

Mit einem Aufwand von rund 300 Millionen Mark ist immerhin vieles erreicht worden. Ganze Häuserzeilen wurden renoviert, Schulen und Krankenhäuser instandgesetzt. Durch die Bautätigkeit wurde auch die regionale Wirtschaft angeregt. Auf dem Feld der Politik mußte die Administration jedoch scheitern. Die Sicherheitsprobleme konnten nicht gelöst werden. Selbst nach zwei Anschlägen auf Hans Koschnick erlaubte Brüssel der EU-Polizei nur beratende Funktion. Und ein Kampf gegen die Mafia hat nicht stattgefunden.

Erich Rathfelder, Split

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