Punktsieg für Ägyptens Islamisten

■ Entscheidung des Obersten Gerichts: Weil der Linguistikprofessor Abu Said den Koran zu kritisch interpretiert, wird er zwangsweise von seiner Ehefrau geschieden. Zum Abtrünnigen gestempelt, ist er zum Abschuß freigegeben

Kairo (taz) – Die ägyptische Rechtsprechung hat einen neuen Salman Rushdie geschaffen. Weil er vom Islam abtrünnig geworden sei, wurde gestern der Kairoer Linguistikprofessor Nasr Hamid Abu Said von seiner Frau, der Romanistin Ibtihal Junis, in der letzten Gerichtsinstanz endgültig zwangsgeschieden. Die Richter unterstützen mit dem überraschenden Urteil Juristen, die eine weitere Islamisierung des ägyptischen Rechtssystems betreiben. Für militante Islamisten ist Abu Said damit praktisch zum Abschuß freigegeben.

„Mit diesem Urteil schlagen die Richter der Regierung ins Gesicht“, reagierte gestern Ibtihal Junis. Sie und ihr Mann erfuhren von dem Urteil im niederländischen Leiden. Nach mehreren Morddrohungen militanter Islamisten hatten sich beide im vergangenen Herbst aus Ägypten abgesetzt. „Wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben“, erklärte Abu Said. Schon heute würden ihre Anwälte Klage gegen den Vorsitzenden Richter einreichen.

Der Fall Abu Said–Junis zog sich drei Jahre durch die ägyptischen Gerichtsinstanzen. Islamistische Anwälte hatten dem Linguisten vorgeworfen, sich durch seine kritischen Analysen vom Islam abgewendet zu haben. In konservativen Kreisen stieß man sich an den modernen Methoden, mit denen Abu Said die geheiligten Texte untersuchte. Als Apostat – ein vom Islam Abtrünniger – hatte er, nach Meinung der Islamisten, kein Recht, mit einer Muslimin verheiratet zu sein.

Während für manche Gerichte die Apostasie Abu Saids außer Frage stand, weigerten sich andere Richter, den Fall überhaupt anzunehmen. Advokaten und Richter debattierten, ob die islamistischen Kläger, die das Verfahren in Gang gesetzt hatten, das nötige Eigeninteresse besäßen, um die Klage einzureichen. Die Islamisten beriefen sich auf das Hisba-Prinzip – eine Art Klagerecht im allgemeinen Interesse der muslimischen Gemeinschaft. Eine Gesetzeslücke erlaubte es islamistischen Anwälten, dieses Prinzip immer wieder gegen liberale Widersacher zur Anwendung zu bringen. Vor wenigen Monaten erließ das ägyptische Kabinett mehrere Gesetze, die diesem Spuk ein Ende bereiten sollten. Unklar blieb allerdings, ob diese auch rückwirkend für Fälle wie den Abu Saids gültig sind. Das oberste Kassationsgericht entschied gestern im Sinne der Islamisten.

„Wir erleben eine Tragödie“, erklärte gestern der Generalsekretär der ägyptischen Menschenrechtsorganisation EOHR, Muhammad Munib. Besonders gefährlich sei, daß das Urteil Islamisten Tür und Tor öffne, andere aufgrund ihrer akademischen und religiösen Ansichten vor Gericht zu bringen. „In jedem Fall“ käme das Urteil „einer Aufforderung zum Mord gleich“. Offiziell zum Abtrünnigen gestempelt, dürfte Abu Said zum begehrten Ziel militanter Islamisten werden. Diese haben bereits andere intellektuelle Kritiker auf offener Straße erschossen. Karim El-Gawhary