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„Wir müssen eine Zäsur machen“

■ Helmut Pohls Brief spiegelt die Diskussion der RAF-Gefangenen

Wir reden seit 87 von „Zäsur“. Damals erst als qualitative Orientierung für die Bedeutung der gesamten politischen Entwicklung, also wenig inhaltlich diskutiert, aber immerhin hatten es 'ne ganze Reihe von uns miteinander verstanden. Das kam aus der Totalität, die das kapitalistische und imperialistische System Mitte der 80er erreicht hatte, sie waren mit allem durchgekommen. Die „Globalisierung“ und die so totale Unterwerfung unter das Verwertungsprinzip, daß sogar das Bewußtsein davon am Verschwinden ist, weil es gar keinen „Punkt mehr zuläßt, von dem es anders gesehen werden könnte“ (ein g.- anders-Schüler1), wovon heute die Rede ist, das war es für uns damals. Wir haben auch schon ein paar Konsequenzen gesagt. „Im konkreten“, „Schritte“, „Aneignung von unten“, oder daß die alten Begriffe von „revolutionär“ und „reformistisch“ nichts mehr taugen, deshalb „Umwälzungsprozeß“, bei dem die Frage einfach ist, für wen laufen die Schritte in den konkreten Auseinandersetzungen.

Also, die Totalisierung des Systems bedeutet für uns auch, daß das, was kh2 die „Zentralperspektive“ nennt, nicht mehr existieren kann. Das heißt eben eine Organisation, die eine revolutionäre Alternative aus den historischen Prozessen heraus verkörpert, einfach deshalb schon nicht, weil keine ein Konzept, ein „Modell“ für 'ne andere – und das hieße heute: weltweite – Gesellschaftsstruktur anbieten kann. Die Aktion kann keine Perspektive mehr vermitteln, geht nicht. Dasselbe anders: Die Auseinandersetzungen („Probleme“) sind so viele geworden, daß die Guerillaaktion keine strategische („Gesamt“-)Funktion mehr erreicht.

Ich kann's von mir sagen, aber ich denke auch, daß z.B. Eva und Brigitte und wahrscheinlich auch Heidi das genauso im Sinn hatten, ich habe diese Entwicklung von Anfang an als „Aufhebung“ der RAF gesehen. Ich hatte 87/Anfang 90 die Vorstellung einer dialektischen Radikalisierung. Einer (wie stark auch immer) wirklichen, politisch-radikalen und militanten „Bewegung“ in der BRD („realer Faktor“), aus quer durch das ganze „linke“ Spektrum, mit potentiell (zur Verfügung, wann und wie entscheidet man) allen Mitteln.

Wie das genauer aussieht, wußte ich nicht – es ist auch Scheiße, das zu „wissen“, denn man kann es aus dem ganzen Gedanken heraus nur in 'nem ,Miteinander‘-Prozeß der praktischen (Kommunikation ist auch praktisch) Klärung zusammen entdecken. Aber daß es die einzig mögliche Konsequenz ist aus dem, was global am laufen war, das war klar – daß man es also machen muß, rückhaltlos ins Offene (!) gehen.

Wie es dabei mit uns, mit der RAF, wird, wußte ich auch nicht so gut. Ich war aber (unabhängig von den Aktionsformen) zuversichtlich, denn eine ganze Seite dieses historischen Umbruchs gibt uns, im Unterschied zu den meisten „Linken“, sozusagen recht. Es ist so gekommen, wie RAF-Politik, um es zu verhindern, durch die Zeiten auch zentral bestimmt war. (Dieses „um es zu verhindern“ macht auch die richtige Diskussion um „eigene Ziele“ nicht weg.)

Ich dachte dabei etwa, wenn es erst sichtbar wird, wenn dieser Prozeß einer „dialektischen Radikalisierung“ anfängt, dann wird es für uns auch nicht so schwierig sein, weil es eben „alle“ sehen.

Im Streik war es dann unser „Projekt“. Ich habe nie verstanden, warum darin soviel ruminterpretiert und rumgerätselt worden ist, es sollte die grundlegende Anfangserklärung dann bringen.

Du sagst jetzt, du hast uns dann (vielleicht) die ganze Zeit mißverstanden – aber was wäre denn gewesen, wenn wir im Streik alles erreicht hätten, die Diskussion, die wir dann gehabt hätten und daß wir sie gehabt hätten, hat damals ganz natürlich für mich eingeschlossen, daß die RAF in der Zeit keine Aktionen macht. Weil es eben Diskussion überhaupt der Grundlagen von revolutionärer Politik dann ist, also auch das, was die RAF macht. Und die Dynamik in den konkreten Verhältnissen hätte es auch mit dem Gewicht der Gefangenen zwingend so gemacht, es wäre so geworden... Wir hatten es als „Übergang“ bestimmt – zur Freiheit der Gefangenen, die Freiheit impliziert aber, daß auch im Verhältnis RAF/Staat was passiert, der Staat hat die Macht über die Gefangenen, alles andere wäre irreal. Was noch mal 'ne Interpretation von unserer Diskussionsorientierung auf eine veränderte Politik hin ist: in der militärischen Aktion zurücknehmen.

Dann ist es unübersehbar geworden, daß es noch ganz anders aussieht. Für uns Gefangene: daß so gut wie alles, was wir davor erreicht hatten, wieder weg ist ('ne ganze andere Seite auch nicht). Daß „die Diskussion“ an der Klärung der neuen Situation mit vielen, wie es überhaupt aussieht, nicht möglich ist, daß es dabei im vereinzelten Suchen bleibt (überall, nicht nur bei uns Gefangenen) – wie es doch primär wäre, man kann keine Kritik/Debatte machen, ohne die heutige Situation im Ansatz zu „haben“, auf die bezogen das Gesagte nur seinen Sinn haben kann. Daß man vielmehr bei sich selbst auf 'ner noch weiter zurückgedrückten Position anfangen muß, Konsequenzen zu ziehen, um wieder in die Initiative zu kommen.

Da hab' ich das vor rund einem Jahr (verspätet) gesagt. Du nennst das jetzt „Hammersatz“, für mich überraschend, denn damals habe ich nach ein paar Monaten als sinngemäßen Orientierungssatz von dir gehört: Ja, es vermittelt nichts mehr.

Wegen der Bullensituation und weil ich dachte, du verstehst so schon, hatte ich es in festgelegten Punkten und festgezurrten Hauptformulierungen gesagt: Ich halte es für richtig, wenn die RAF jetzt öffentlich sagt, daß sie für einen nächsten Zeitraum und bevor sie etwas anderes dazu sagt, keine gezielt tödlichen Aktionen – aber man kann es ganz sagen: keine Kommandoaktionen – macht. Erklärt hatte ich es mit den Punkten:

– Daß die Bezüge, aus denen sich die RAF 20 Jahre lang bestimmt hat und die auch für jede revolutionäre Politik Entstehungsbedingung und Existenzrahmen war, radikal auseinandergeflogen sind.

– Man ohne daß man eine erneute Bestimmung hätte („Neugründung“ meint das, die Grundlagen), dieses Mittel nicht anwenden kann. Es entspricht in seiner ganzen Aussage nicht der Situation, es sagt nämlich aus, daß man eine definitive Bestimmung im revolutionären Kampf hat. Aus sich, aus der Qualität des Mittels.

– Weil es durch die Konfrontation, die Bedingungen, die es aus der Reaktion für alle setzt, über alle, die nach revolutionärer Politik suchen und die in einer extremen Krise sind, weggeht. Während es aber grad um ein Sichfinden auf einer neuen Grundlage geht.

– Als weiteren Gedanken, daß die Eskalation der Brutalisierung und „blinden Gewalt“ in der Gesellschaft und global der politischen Gewalt ein ganzes Stück der politischen Vermittlung entzieht. Es wird „zuviel“, die Leute schlagen nur noch die Hände über dem Kopf zusammen bzw. können es nicht mehr verarbeiten (im Trikont ist es die „Kriegsmüdigkeit“). Sie sehen nur noch mehr Gewalt und keine Politik (keine Lösungen), auch wenn die Schweinereien es hundertmal „rechtfertigen“.

– Und daß ich mir (nur noch) darüber vorstellen kann, daß wir durch das Zugehen auf die vielen, die wir fürs weitere wollen, und das Aufknacken im Verhältnis RAF/Staat, qualitativ wieder solche Bedingungen herstellen wie 893. Ein Schub.

Durch die KGT-Initiative5 ist das jetzt schlechter als noch vor einem Jahr. Jetzt wird es fast unvermeidlich als Reaktion von uns darauf verstanden. Trotzdem. Es ist ganz unabhängig davon, wie der Staat in bezug auf die Gefangenen darauf reagiert, richtig. Sie werden erst mal „danke“ sagen und sonst kaum etwas. Aber es kann uns bessere Grundlagen verschaffen, um eine Mobilisierung zu erreichen.

Ich finde das auch aus 'ner anderen politischen Überlegung richtig, der der Klarheit und Radikalität, die auch der Radikalität der Wirklichkeit entspricht. Eva schreibt mir völlig richtig: Es ist eine Übergangszeit, und man darf es nicht nur so begreifen, sondern man muß es auch so bestimmen. Es geht nicht, die RAF elegant und mehr oder weniger stillschweigend in was anderes zu transformieren, wir müssen ganz klar eine Zäsur machen. Die RAF als Offensivposition im internationalen Klassenkrieg kann es so nicht mehr weiter geben. Das ist 20 Jahre lang Grundbestimmung gewesen, das hat mit „bis 77“ oder „bis 85“ nichts zu tun. Das verlangt auch die Klarheit zu unserer Geschichte, an der ich jedenfalls festhalten will.

Ob es ein Prozeß wird, in dem sich die RAF verändert, aber verändert auch in der Kontinuität dann weiter agiert – oder ob es ein „Auflösung“-Prozeß in eine neue Struktur des Kampfes wird, ich weiß es nicht.

Deshalb ist es eben genau das richtige, „für die nächste Zeit und bevor etwas anderes gesagt wird: keine Kommandoaktionen“ – und nicht nur die halbherzige Sache, wie es wahrscheinlich die Celler4 denken (oder?), die nicht die ganze Konsequenz ziehen will – und genauso auf der anderen Seite nicht, wie es aus deinem zweiten Brief rauskommt, „aufhören“, „der Deal“.

Das stellt sich alles erst noch heraus, wie es laufen kann.

Wir müssen eine bestimmte Aussage machen. „Für die nächste Zeit bis...“

Die muß enthalten: die Offenheit anderen Praxen gegenüber, das nicht vorher Bestimmbare der folgenden/zukünftigen revolutionären Politik und eine Ausgangslinie im Verhältnis, gleich: der Konfrontation mit der Staatsmacht für den ganzen Bereich des anvisierten Mobilisierungsprozesses, also wie es von ihnen auch getragen wird und werden kann.

Und es kommt heute (auch mit der KGT-Initiative5) viel mehr noch als vor ein, zwei Jahren darauf an, es sofort mit einer gleichgewichtigen Aussage zu verbinden (so darüber zu sprechen), daß radikal(st)e Politik, konsequente Kämpfe laufen müssen, daß alles danach schreit, daß der Umwälzungsprozeß erkämpft wird.

Genauer, so sag' ich es, daß die Entwicklung so oder so, als Zerstörung oder Aneignung läuft. Die Schärfe, das ist ,mehr‘, direkter zur Aktualität, als es vage mit die „Ziele“ und „revolutionäre Politik“ so ungreifbar in die Zukunft gesagt ist. Daß also von „Aufhören“ keine Rede sein kann.

Das muß auch so klar rauskommen, weil in diesem Rutsch die ganze massive Wirklichkeit daran zieht, man muß sich nur die RZ- Papiere6 anschauen. Da kann es bei einem bestimmten Teil von Leuten, denen, die mit dabei sind, noch so klar in seinem Zusammenhang und seiner Begründung sein – diese dominierende Struktur „geben auf“, „Deal“, „schwenken ein“, die überfährt das, wenn wir nicht über einen begrenzten Teil hinaus klar durchgedrungen sind. Es wirkt dann real insgesamt als Runterziehen, revolutionäre Politik einpacken.

Weiter – heute hat der ganze Prozeß weniger mit dem Staat zu tun als bisher. Er geht vor allem vom Strukturprozeß der Aneignung aus, auf der anderen Seite erodiert die Staatsmacht auch, also verlieren die Angriffe auf den Staat auch an Stellenwert. (Gerade deshalb muß er für unsere Geschichte auch scharf festgehalten werden.)

Und – der springende Punkt ist, daß heute „Angriff“ wesentlich beim Inhalt erst mal steckt, in der „Rückeroberung“ der Inhalte. Wiederaneignung.

Die alles überdeckende Systemideologie/Herrschaftsideologie/Jubelideologie wird insgesamt verdrängt, die sozusagen das historische Überholtsein revolutionärer und ,linker‘ Politik überhaupt zur Grundlage des weiteren Verfahrens machen will.

Damit ist aber die Stärke dieser „Definitionsmacht“ nicht begriffen, die Bedeutung der real-metropolitanen Verarbeitung des generellen Koordinatenwechsels. Das wieder zurechtzurücken, das ist jetzt das Offensive zuallererst. Die Inhalte wieder auf die Seite der zu entwickelnden neuen Strukturen bringen. In gemeinsamen Haltungen („Positionen“, die praktisch sind), bei gleichzeitigen Unterschieden in anderen Fragen. Offensiv.

Zum Beispiel zur G 7, „500 Jahre“7, wer will das? Die Vernichtung von Millionen, die Fortsetzung dieser Geschichte in die Zukunft? Welche Zukunft dann?

Wo wir dann beim „globalen Bewußtsein“ wären oder dem „Bewußtsein von der Globalität“, dem Einrasten des Metropolenbewußtseins in die Realität der Welt.

Das sind keine Blasen, das ist dann jedesmal in der konkreten Sache die politische Klärung.

Oder zum Beispiel: die Gefangenen, Menschenrechte, Legitimität der „Lösung“.

Wenn der Schritt von der RAF gemacht wird, muß man dabei aber auch sehen, daß eine Differenz immer bleibt. Die „Lösung Gefangene“ und die „Entwicklung RAF“/bzw. radikale, militante Orientierung gehen nicht glatt auf, es bleibt immer auch die Widerspruchsseite.

Man muß entscheiden. Was ist jetzt richtig? Es ist jetzt eine der historischen Zeiten, in denen Gefangene rauskommen können – was ist einem wichtiger, hat mehr Bedeutung? Das persönliche und politische Leben einer Reihe von uns, oder das Rucken in der konsequenten Orientierung. – Was kann es sein? Eine dynamische Funktion auch für den gesamten Prozeß. Man muß die Widerspruchsseite aus der Entscheidung für das andere aushalten. Ist doch nur gut hier, hätte doch dann auch eine gute politische Aussage.

Wir müssen jetzt gleich voneinander wissen, ob wir alle, drinnen und draußen, solche Sätze von uns Gefangenen tragen (denn wir müssen mit einer klaren und kräftigen Aussage zu der „Freilassungsinitiative“ noch rauskommen) und was mehr gesagt werden sollte:

Wir wollen einen gründlicheren Schritt, für alle Beteiligten, einen Einschnitt gegenüber der Geschichte von 22 Jahren. Wir wollen eine Perspektive der Freiheit für alle von uns in einem absehbaren nächsten Zeitraum.

Das wird auch in unserer Vorstellung nicht sofort gehen und nicht auf einmal. Das kann auch nicht nur am Bereich der Gefangenen angepackt werden, sondern ist nur vorstellbar als Zäsur im gesamten politischen Zusammenhang. (Was den Schritt von der RAF impliziert.)

Wir fordern das mit der bekannten Gefängnisgeschichte im Rücken – und wir wollen das aus einer direkten politischen Zielsetzung für jetzt, als Ausdruck der generellen Notwendigkeit von „Lösungen“.

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