: Statt Freiheit heißt die Perspektive weiter Knast
Die Sicherheitsbehörden und die Medien erklären sie heute zu „Hardlinern“: die verbliebenen Inhaftierten aus der Roten Armee Fraktion. Sie aber waren es, die als erste eine politische Neubestimmung der RAF und eine Abkehr vom bewaffneten Kampf gefordert hatten – unabhängig von einer möglichen staatlichen Initiative zur Freilassung von RAF-Gefangenen ■ Von Oliver Tolmein
Reichlich vier Jahre ist es her, daß in den bundesdeutschen Medien geraunt wurde, es gebe eine „Kinkel-Initiative“, der zufolge RAF-Gefangene vorzeitig entlassen werden sollten. Seitdem hat der damalige Justizminister und einstige BND-Präsident Klaus Kinkel nicht nur an politischem Zuspruch verloren. Auch von seiner Initiative ist wenig mehr geblieben, als daß einige einstige RAF-Mitglieder, die wie Irmgard Möller, Hanna Krabbe, Karlheinz Dellwo oder Bernd Rößner zu lebenslanger Haft verurteilt waren, nach 20, 21 oder 22 Jahren entlassen wurden.
Andere, wie Gabriele Rollnik, hatten ihre Haftstrafen verbüßt und kamen deswegen frei. Vorzeitig mag man diese Entlassungen, die mühselig und jeweils nur nach erheblichem Engagement von Anwältinnen und Anwälten, den Resten der einstigen Unterstützerszene und wenigen verbliebenen Menschenrechtsaktivisten durchgesetzt wurden, kaum nennen. Die Haftdauer der Entlassenen liegt über dem Durchschnitt dessen, was lebenslange Freiheitsstrafe in der BRD ausmacht.
Während die einen aber immerhin dem Knast, in dem sie oftmals viele Jahre in Isolationshaft zu leben gezwungen waren, den Rücken kehren konnten, wurden für etliche andere ihre Haftstrafen in neuen Prozessen, die die Bundesanwaltschaft nach Kronzeugenaussagen anstrengen konnte, hochgesetzt. Sieglinde Hofmann, die nach fünfzehn Jahren Haft hätte entlassen werden sollen, wurde nachträglich mit einem Urteil, das vor kurzem rechtskräftig geworden ist, zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Da das neue Urteil überdies eine „besonders schwere Schuld“ attestiert, wird die seit 1980 inhaftierte, derzeit in Köln-Ossendorf gefangengehaltene Frau vor 1998 kaum eine Chance haben, das Gefängnis zu verlassen. Auch bei anderen einstigen RAF-Mitgliedern, zehn sitzen derzeit noch in BRD-Gefängnissen, tun sich düstere Perspektiven auf. Rolf Heißler beispielsweise, von Juni 1971 bis März 1975 wegen eines Banküberfalls inhaftiert, dann im Zuge der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz befreit, sitzt seit Juni 1979 erneut in Haft. Da er seine alte Haftstrafe absitzen mußte und dann erst die 15-Jahres-Frist seiner erneuten Verurteilung wegen seiner Aktivitäten als Mitglied der RAF zu laufen begann, hat er trotz seiner mittlerweile 21 Jahre Haftzeit mithin erst ab Oktober 1998 eine Chance auf ein reguläres Entlassungsverfahren nach Paragraph 57a des Strafgesetzbuchs (Aussetzen des Strafrests bei lebenslanger Freiheitsstrafe).
Auch Rolf-Clemens Wagner sitzt seit 1979 ein und hat trotzdem, weil ihm die Zeit in Schweizer Auslieferungshaft nicht angerechnet wird, erst Ende 1997 eine Chance auf ein Entlassungsverfahren. Bei Stefan Wisniewski, der bereits seit Mai 1978 gefangen und wegen Mitwirkung an der Schleyer-Entführung verurteilt ist, hat das Oberlandesgericht Düsseldorf eine besondere Schwere der Schuld behauptet, so daß er frühestens 1998 freigelassen werden kann. Bei anderen wie Helmut Pohl, Brigitte Mohnhaupt, Eva Haule, Inge Viett und Adelheid Schulz sind die fünfzehn Jahre seit der letzten Verhaftung noch gar nicht verstrichen. Daß gegen einige von ihnen bereits neue, durch Kronzeugenaussagen initiierte Ermittlungen laufen, läßt befürchten, daß sie noch weit über die Jahrtausendgrenze in Haft gehalten werden. Gleiches gilt für Birgit Hogefeld, wenn sie, wie es sich in ihrem Prozeß in Frankfurt abzeichnet, verurteilt werden wird.
Das sind die Rahmenbedingungen, angesichts derer Helmut Pohl, der seit insgesamt 19 Jahren im Knast sitzt, ein Interview geführt hat, das im Juni-Heft von konkret veröffentlicht worden ist. Die Tristesse der Lage der Gefangenen hat viele Beobachter und Kommentatoren zu dem Kurzschluß verführt, das Interview wäre ein „Hilferuf“, eine zweckgebundene Maßnahme, die vor allem zum Ziel hätte, die eigene Freilassung schneller zu erreichen. So erfreulich es wäre, wenn das Interview auch dazu führen würde, daß die Diskussion um Haftbedingungen und Freilassung erneut und folgenreicher als 1992 in Gang käme, so falsch erscheint es, das Gespräch nur als Mittel zum Zweck zu betrachten. Pohl gehört zu denen, die in der internen Debatte von RAF und Gefangenen um die Einstellung von Attentaten kritisiert haben, daß dieser Schritt mit der Forderung nach Freilassung verknüpft worden war.
Das Interview und die Veröffentlichung des nebenstehenden Briefs vom Februar 1992 zielen vielmehr darauf, ein Stück Transparenz zu schaffen und damit das staatliche Monopol auf die Interpretation der Geschichte und Politik der RAF zu durchbrechen – ein Motiv, das auch Birgit Hogefeld und die RAF-Gruppe draußen zu ihren jeweils ausführlichen Erklärungen motiviert haben dürfte.
Der Brief vom Februar 1992, verfaßt also zwei Monate bevor die RAF draußen ihre Erklärung über die „Rücknahme der Eskalation“ vom 10. April 1992 veröffentlicht hat, dokumentiert, welche Überlegungen der „Zäsur“, dem Abschied vom bewaffneten Kampf, wie er zwei Jahrzehnte lang die BRD und die Linke in der BRD geprägt hat, zugrunde lagen: Der Ausgangspunkt war eine optimistische Einschätzung der Möglichkeiten eines Neuanfangs in einer vertrackten politischen Situation, war auch die Überzeugung, linke oppositionelle Strömungen könnten sich wieder trotz ihrer vielfältigen Spaltung in kleine und kleinste Fraktionen zu einer Gegenmacht zusammenschließen. Einen Neuanfang hat es sowenig gegeben, wie sich seitdem eine Gegenmacht entwickeln konnte. Die Einschätzung der näheren Zukunft durch RAF und Gefangene war zu hoffnungsvoll – etwas, was sie mit manchen anderen Linken gemeinsam hatten, die hofften, linke sozialistische Kräfte würden aus dem Zusammenbruch des realsozialistischen Systems profitieren und wie Phönix aus der Asche steigen.
Daß das Scheitern des Gegenmacht-Konzepts nicht nur RAF und die Gefangenen in einer grundlegenden Krise zeigt, in der das Alte selbst von seinen einstigen VerfechterInnen als untauglich erkannt wurde – neue Strategien aber nicht einmal in Umrissen ausgemacht werden können, sondern alle linken Strömungen vor sich hin dümpeln –, ist eine These, über die zu diskutieren lohnte.
Pohl benennt in dem Interview Faktoren, die dazu geführt haben, daß auch, was als Zäsur gedacht war, eben nur die Fortsetzung des allgemeinen Zerfallsprozesses der Linken bewirkt hat: die Unentschiedenheit in der Umsetzung der radikalen Kritik an der eigenen Routine, linke Betriebsamkeit statt substantieller Auseinandersetzungen, das Versagen bei der Entwicklung politischer Strukturen und schließlich auch die Vorliebe für Ideologie als Ersatz für Wirklichkeit.
Diese Analyse mag man oder frau teilen oder nicht – einfach abzutun ist sie nicht. Wer sich mit dem Hinweis darauf, daß es sich hier doch nur um einen „Hilferuf“ handele, aus der inhaltlichen Diskussion verabschiedet, übersieht Entscheidendes: Soviel wie die RAF mit dem emanzipatorischen Aufbruch der außerparlamentarischen Linken in den 60ern zu tun hat, so wenig läßt sich auch die Entwicklung der verparlamentarisierten Linken der 80er und 90er Jahre ohne die Entwicklung der RAF verstehen. Die RAF hat aus der Revolte in den Sechzigern ihre Kraft geschöpft. Die grünen Minister haben ein gut Teil der Legitimation, die ihnen ihre Karriere ermöglicht hat, auch aus dem spektakulären Scheitern des bewaffneten Kampfes spätestens im Deutschen Herbst bezogen, der für die radikale Linke zu jener Zeit eine tiefe Zäsur und den Abschied von der militanten Fundamentalopposition markierte.
Die Möglichkeit, darüber und über die politische Zukunft der Linken ohne aktuelle (Gegen-) Macht eine Auseinandersetzung weiterzutreiben, wie sie in den Papieren der RAF, Texten wie dem nebenstehenden Brief und dem Interview mit Pohl angelegt ist, setzt auch voraus, daß die Kommunikation mit den gefangenen ehemaligen RAF-Mitgliedern direkt geführt werden kann – das geht am besten und zwanglosesten, wenn sie rauskommen. Derzeit sind aber nicht einmal grundlegende Voraussetzungen dafür geschaffen.
An die Stelle der zusammengelegten Gruppen in Celle und Lübeck sind keine neuen getreten, auch Initiativen, wie die unüberwachten BesucherInnen- Gesprächskreise, die es dort gab, sind woanders nicht durchgesetzt worden. Das Interview mit Helmut Pohl ohne Polizeiaufsicht führen zu können bedurfte alles in allem einer Vorbereitungszeit von knapp einem halben Jahr. Interviews mit anderen Gefangenen, zum Beispiel mit Birgit Hogefeld, mit Brigitte Mohnhaupt oder mit Christian Klar, sind weiterhin ganz ausgeschlossen. Aber auch andere politische Kontakte, die die Diskussionen, die um die Zäsur, die Spaltung der RAF und die weiteren Perspektiven von Linken kreisen, erscheinen derzeit kaum möglich.
In dem Interview mit mir bezeichnet es Helmut Pohl als größten Erfolg seiner Knastzeit, mit einem Besucher fast zwei Stunden ohne Polizeiaufsicht geredet haben zu können. Der gleiche Besucher wurde beim nächsten Termin wieder vom LKA begleitet.
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