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Die Spione freuen sich auf den Umzug

Für das Landesamt für Verfassungsschutz entwickelt sich Berlin wieder zum Zentrum der Agententätigkeit. Doch woher die über 1.000 Spione kommen sollen, ist unklar. Russische Geheimdienste arbeiten mit alten Methoden  ■ Von Severin Weiland

Es schien, als habe das Landesamt für Verfassungsschutz nur darauf gewartet. Über sechs Jahre nach dem Fall der Mauer ist das alte Feindbild auferstanden. Berlin, orakelte der Amtschef Eduard Vermander bei der Präsentation des Jahresberichts seiner Behörde, sei die Stadt der Spione. Mehr als 1.000 Agenten, hauptsächlich aus Rußland, dem Iran und Nord-Korea, tummelten sich in der Hauptstadt, bereiteten sich auf den Umzug der Bundesregierung vor. Ihr Ziel: Wissenschaftler aushorchen, Wirtschaftsunternehmen beobachten, um sich Konkurrenzvorteile zu verschaffen, technologischen Rückstand aufzuholen oder, wie im Fall des Iran, das internationale Embargo zu umgehen.

Die Dienste dieser Republik, ob auf Bundes- oder Landesebene, suchten eine neue Legitimation, ist sich die rechtspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Renate Künast, sicher: „Jede Behörde will sich doch selbst am Leben erhalten.“

Den Beweis, daß Berlin zur Stadt der Agententreffen geworden ist, bleibt das Amt in seinen Publikationen schuldig. Das Böse kommt – wieder einmal – aus dem Osten. Das mag kaum verwundern. Schließlich waren die Mitarbeiter jahrzehntelang auf den Osten fixiert, vor allem auf die weitaus erfolgreichere Konkurrenz des MfS aus der DDR. Abschied von Feindbildern fällt bekanntermaßen schwer. Daher findet sich auch der Hinweis, daß die Ost-Dienste „über einen enormen Fundus an personenbezogenen Informationen und damit an potentiellen Agenten“ verfügten. Parallel zum russischen Truppenabzug begann bis zum März 1992 der Abbau der KGB-Vertretung in Karlshorst, die einst 350 Nachrichtenoffiziere zählte. Danach begann die Zeit der neuen Unübersichtlichkeit. Heute sind vier der sieben russischen Geheimdienste für die Verfassungsschützer vor allem interessant: der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR, sein militärisches Pendant GRU, die Förderale Agentur für Regierunsfernmeldewesen und Information beim Präsidenten der Russischen Föderation, FAPSI, und zuletzt der Föderale Dienst für Sicherheit, FSB. Priorität habe die Wirtschaftsspionage. Reisen deutscher Geschäftsleute gen Osten mögen reizvoll sein, vor allem der Ausflug am Abend, ungefährlich aber nicht. Weibliche und männliche Gespielen gehören wieder zum Repertoire der Abschöpfung. Oder, wie es Vermander diplomatisch ausdrückte: Die dortigen Dienste arbeiteten wieder mit den alten Methoden, er warne daher vor „kompromittierenden Situationen“.

Neben den legalen Residenturen in Botschaften, Konsulaten und Handelsvertretungen sind einstige sowjetische Agenten oder solche, die der Spionage verdächtigt wurden, auch in russischen Privatunternehmen aktiv. Als Schwerpunkt hat das Amt Berlin und Brandenburg ausgemacht. Daß dabei nicht Roß und Reiter genannt werden, hat außenpolitische Gründe. Rußland ist Partner der Bundesrepublik, und Mißtöne will man tunlichst vermeiden. Eine schizophrene Situation ist da entstanden, wie die Bündnisgrüne Renate Künast meint: Während auf Bundesebene offiziell mit dem ehemaligen KGB zusammengearbeitet werde, mißtraue man ihm vor Ort. Geschichte, das wissen die Geheimdienstler nur zu gut, kann manchmal Bocksprünge machen.

Ob Berlin nun Spionagezentrum ist oder erst wird – dies läßt sich kaum überprüfen, schon gar nicht an den dürftigen Informationen des Landesamtes. Das ist wohl auch kaum verwunderlich und aus Sicht des Dienstes auch verständlich, arbeiten Agenten doch bekanntermaßen im geheimen und ist die Spionageabwehr ihrerseits auf Quellenschutz angewiesen. Daß die Hauptstadt von Interesse ist, ist wohl unbestritten. Dies zeigt nicht zuletzt der laufende Prozeß gegen die Mykonos-Attentäter. 1992 waren iranische Oppositionelle, nach neuesten Informationen offenbar im Auftrag des iranischen Mullah-Regimes, in einem griechischen Restaurant in Schöneberg durch ein iranisches Kommando regelrecht hingerichtet worden. Die Dienste des Gottesstaates unterhalten, so das Landesamt, wie andere auch eine legale Residentur in ihrem Berliner Generalkonsulat. Daneben nutzten sie illegale Stützpunkte, deren Mitarbeiter aber nicht durch politische Immunität geschützt sind.

Nord-Koreas Agenten hingegen strömen von ihrer im Bezirk Mitte gelegenen Interessenvertretung aus, die unter dem Schutz der chinesischen Botschaft steht. Dort künden regelmäßig die Schaukästen von den früheren Erfolgen des verstorbenen „großen Führers“ und seines Sohnes. Ähnlich wie die iranischen Dienste suchen die Nordkoreaner den Kontakt zu Studentenverbindungen. Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit steht laut Verfassungsschutz die „Pankoreanische Allianz für die Wiedervereinigung Koreas“, deren bundesweiter Sitz Berlin ist. Auf deren „personelle Struktur und Organisation“ versuchten die nordkoreanischen Vertreter in der chinesischen Botschaft Einfluß zu nehmen.

Westliche Spionage findet – wie sollte es auch anders sein – in den Berichten des Landesamtes keine Erwähnung. Bekanntlich stand das Amt bis zum Oktober 1990 faktisch unter der Aufsicht der Alliierten. Westliche Geheimdienste dürften aber in der Stadt ebenso aktiv sein wie ihre östlichen Pendants. Manchmal hilft der Zufall, um ein Licht auf deren Arbeit zu werfen. 1994 offenbarte sich der damals 28jährige Heung-Young Baek als südkoreanischer Agent. Was er in den Fraktionszimmern der Bündnisgrünen berichtete, gehört zum Repertoire, wie es in unzähligen Agentenromanen geschildert wird: In seinem Heimatland unter Druck geraten, wurde er auf südkoreanische Studenten angesetzt. Nach einem Abstecher nach Japan schickte ihn der Staatssicherheitsdienst „Angibu“ nach Berlin. Hier sollte er das Vertrauen südkoreanischer Studenten gewinnen. Bei Schwierigkeiten hätte er sich an das südkoreanische Konsulat in Berlin wenden sollen – der Agent aber suchte den Schutz derer, die er bespitzeln sollte.

Spionage, auch unter befreundeten Staaten, gehört — wie die Prostitution – zu den unsterblichen Gewerben. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Hermann Lutz, machte 995 einen CIA-Spionagefall publik, den der BND zu Protokoll gegeben haben soll. Über einen Satelliten habe der US-Geheimdienst eine Konferenzschaltung deutscher Firmen abgehört und die Informationen an eine einheimische Firma weitergegeben. Ein Fall, der zwar nicht in Berlin stattfand, der aber in der „Agentenstadt“ und am künftigen Regierungs- und Parlamentssitz wohl auch denkbar wäre.

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