: Die Hälfte ist zuviel, um aufzugeben
Das „Race across America“ rollt, und Rüdiger Dittmann rollt mit: Der Allgäuer möchte der erste werden, der die 4.700 Kilometer unter Wettkampfbedingungen mit dem Fahrrad und zu Fuß geschafft hat ■ Von Klaus Wittmann
Kempten (taz) – Die Jungs im Park unterbrechen ihr Basketballspiel, schütteln den Kopf und verkünden übereinstimmend: „Das gibt's doch gar nicht!“ Dann schauen sie denn drahtigen Einsfünfundachtzigmann mit den enganliegenden Radlerhosen ungläubig an. Das soll er sein, der Typ, der in zehn Tagen quer durch Amerika radelt? 4.700 Kilometer von Kalifornien über die Rocky Mountains, durch die Wüste bis rüber an die Ostküste. „Das hält doch keiner aus“, meint der kräftige Teenager, der sich vom Reporter „irgendwie verschaukelt“ vorkommt.
Aber warum wird dann dieser Typ mit den Radlerhosen so oft fotografiert? Der wohnt doch gleich um die Ecke, und irgend jemand hat mal gehört, daß der Bauingenieur sei. Rüdiger Dittmann (34) ist tatsächlich Bauingenieur. Aber er ist auch Extremsportler. Zusammen mit dreiundzwanzig weiteren Verrückten aus der ganzen Welt radelt er seit einer Woche quer durch die Vereinigten Staaten. Er ist einer der offiziellen Teilnehmer des legendären „Race Across America“. Zehn, vielleicht zwölf werden das Ziel erreichen – Savannah, Georgia. Wenn sie ankommen, werden die zehn härtesten Tage ihres Lebens hinter ihnen liegen. Die Strecke geht über die Rocky Mountains und ist bis zu 3.300 Meter hoch. Insgesamt sind 30.000 Höhenmeter zu überwinden. „Man fährt ungefähr zwanzig Stunden am Tag und hat vier Stunden Pause, davon zwei, drei Stunden Schlaf. Das ist das größte Problem.“
Rüdiger Dittmann weiß, wovon er spricht, auch wenn er die 4.700 Kilometer zum ersten Mal fährt. Aber gelaufen ist er die Strecke schon mal! Vor drei Jahren beim Transamerikalauf gehörte er zu den sechs Menschen, die übriggeblieben waren; die nach 64 Tagen im Central Park von New York eingelaufen sind. Fix und fertig, aber glücklich, diese Strecke geschafft zu haben. Diese endlose Strecke von L. A. nach N. Y. Die schaffen viele Autofahrer nicht. Immer wieder geben sie in der glühenden Sonne trotz Klimaanlage auf. Zu monoton kann diese Straße sein, die durch Nevada führt, durch Utah, Colorado, Kansas, Missouri, Illinois, Indiana, Ohio, Pennsylvania, New Jersey und den Südteil des Staates New York.
Für die Trans-Am-Läufer waren es 73 Kilometer täglich im Schnitt. Der längste Tagesabschnitt für Dittmann lag bei 98 Kilometern – zu Fuß, wohlgemerkt! Dittmann ist sie gelaufen, hat nicht aufgegeben, obwohl er immer und immer wieder dachte, es gehe nicht mehr. Dreizehn waren sie am Start. Elf Männer, zwei Frauen. Sechs haben es geschafft. Er war der letzte von ihnen, aber er hat durchgehalten.
„Gewinnen wollte ich nie. Schaffen wollt' ich es“, sagt er. Sollte er nun eines der strapaziösesten Radrennen der Welt überstehen, wäre er der erste, der sowohl zu Fuß als auf dem Rad diese Wahnsinnsstrecke „gepackt“ hat.
Freilich sind da pro Tag 470 Kilometer gefordert, „bei 45 Grad im Schatten, wobei niemand weiß, wo der Schatten ist“. Der Reiz, sagt Dittmann, „liegt in den neuen Erfahrungen, die man dabei macht, wie man mit sich selbst zurechtkommt, wie man auf ungeahnte Schwierigkeiten reagiert“.
Seit 1982 ist er Extremsportler. Hat klein angefangen. Mit Marathon, Triathlon. Dann kam Ironman-Triathlon, Doppel- und Dreifach-Ironman, Trans-Am-Lauf. Ein bißchen Training hat er sich schon gegönnt, der Bauingenieur Dittmann. „Seit Januar bin ich 17.000 Kilometer mit dem Rad gefahren, die längste Einzelstrecke waren 540 Kilometer.“
Seine Lebensgefährtin sagt, er haben keinen Vogel. „Ich bewundere ihn, weil er einen so starken Willen hat, nicht nur im Sport.“ Miriam Puscher ist mit Tochter Hanna daheim im Allgäu geblieben, auf einen Anruf ihres Schwagers hoffend, der zum Drei-Mann- Team von Rüdiger Dittmann gehört. Sie surft ein bißchen im Internet und schaut, ob was zu lesen ist darüber, wer aufgegeben hat.
Die letzten Nachrichten kamen per Telefon. 1. Tag: 50 Grad. So heiß war es beim Laufen nie. 2. Tag: Starker Gegenwind. 3. Tag: Es lief etwas besser. 4. Tag: Psychischer Einbruch. Dittmann läßt mitteilen, er sei „richtig down“.
Sechs Monate lang hat er nur halbtags gearbeitet, um sich so richtig gut vorzubereiten. Ein italienischer Sponsor hat die zwei Fahrräder finanziert. Das Rennen selbst muß er aus eigener Tasche zahlen. Gut 15.000 Mark kostet ihn das. Rüdiger Dittmann könnte der dritte Deutsche sein, der dieses Rennen durchhält. Wenn er durchhält. 20 Liter trinkt er. Pro Tag. Bei den Temperaturen, sagt er, „muß man sich zwingen zu trinken, so komisch das klingt“. Und dazu muß man noch zwischen 8.000 und 10.000 Kalorien runterbringen.
Gestern mußte er durch Colorado radeln. Weil der Führende „superschnell“ fährt, müssen die anderen kämpfen, um dranzubleiben. Etwa 2.500 Kilometer sind zurückgelegt. Mehr als die Hälfte. „Die Hälfte ist zuviel, um aufzugeben“, sagt Dittmann immer. Diesmal hat er es auch gesagt.
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