■ Schöner Leben
: Floralerotik

Samstäglicher Nachmittagsfrieden: Die Sonne wärmt die Terrasse, sanft schaukelt der Wind die Blätter und Zweige ringsum, Kinderlachen ein paar Gärten weiter, der unvermeidliche Rasenmäher brummt und der mißratene Nachbarssohn bemüht sich nach stimmlichen Kräften, mit den „Böhsen Onkelz“ textlich mitzuhalten. Ein verschlafener kleiner Dutzendhinterhof. Könnte man meinen. Vor der Terrasse aber, gut sichtbar von allen Seiten, tobt sich Eros aus. Da regieren Wollust, Haltlosigkeit und blanke Gier. Da steht der Sommerflieder.

Der Sommerflieder – gelobt seien die Pflanzenpioniere, die ihn uns aus den Tropen eingeschleppt haben. Wo wäre denn sonst die heimische Pflanze, die so eine geballte Ladung Floralerotik aufbringen würde? Der Sommerflieder nämlich wird umflattert und umschwärmt von den schönsten Schönheiten. Schmetterlinge, dutzende von Schmetterlingen torkeln liebestrunken heran, stürzen sich gierig auf den erstbesten violetten Blütenspeer, flattern berauscht zum nächsten. Pfauenauge, Admiral, Kohlweißling und Zitronenfalter besaufen sich hemmungslos und können, wollen nicht lassen. Klasse. Es stören nur die tumben Hummeln.

Was hat dieser Tropenexport bloß, was unsereins nicht hat? Macht nichts weiter, als dazustehen. Wird aber trotzdem umschwärmt. Am Äußeren kann es nun wirklich nicht liegen. Er sieht aus, wie halt so eine blühende Pflanze aussieht: spiddelige Stengel, Blätter, violette Blüten – das war's. Nicht so besonders, um ehrlich zu sein. Strahlt keine souveräne Gelassenheit aus, wie, sagenwirmal, die mächtige Buche oder die wohlriechende Linde. Ist so eine Dutzendpflanze, wird aber umschwärmt. Muß dann wohl doch am Geruch liegen.

Es kriecht das bittere Gefühl heran, daß die Natur das irgendwie doch ungerecht eingerichtet hat. Wann wird unsereins schon mal umflattert und umschwärmt von den schönsten Schönheiten, und die gleich dutzendweise? Vom liebestrunkenen Herantorkeln, und dem gierigen Draufstürzen ganz zu schweigen.

Was lehrt uns also der Sommerflieder? Fast nichts, leider. Diese unscheinbare Pflanze ist uns himmelhoch überlegen, die geballte Floralerotik kriegt unsereins nicht hin. Eine Parallele gibt es am Ende aber doch: Es stören die tumben Hummeln. Jochen Grabler