: Zwerge unterm Regenschirm
■ „Kinder stark machen“ am Kindertag / Tausende tobten im naßgeregneten Bürgerpark
Wenn Kereshmeh groß ist, will sie unbedingt Polizistin werden. Der rote Wuschelkopf sitzt auf einem echten Polizei-Krad, die Hände fest an den Lenker gekrallt. Stolz strahlt sie in die Polaroid-Kamera. Ein Knöpfchendruck - das Photo rutscht aus dem Schlitz und Kere-shmeh unruhig auf dem Ledersitz hin und her. „Böse Menschen, die Kinder klauen“, die will das kleine Mädchen aus dem Iran später bestrafen. Doch jetzt müsse sie schnell weiter, denn der 7. Bremer Kindertag im Bürgerpark hat noch viele andere Spiele auf Lager.
Über soviel kindliche Begeisterung kann sich der Polizeibeamte Wolfgang Fingerhut nur freuen. Jedes Jahr kommt seine Crew zum Bremer Kindertag, „um bei den Kids für die Polizei zu werben“. Fingerhut ist überzeugt, daß die meisten Sprößlinge heute Polizist werden wollen: „Um Nachwuchs müssen wir uns keine Sorgen machen“, sagt er. Der Lokführer-Job, der sei schon lange out und das mit dem tollen Image der Polizei, das könne nur an den Medien liegen. Fingerhut plaudert sich langsam öffentlichkeitswirksam warm. Schnell klettert ein knapp vierjähriger Knirps aufs Rad, doch schon bald verläßt ihn der Mut. Zitternd verzieht er krampfhaft die Lippen, damit wenigstens auf dem Foto alles ganz mutig aussieht. Tja, Polizist sein, das ist schwer - da sind mutige Frauen und Männer gefragt.
„Kinder stark machen“ - mit diesen T-Shirts laufen aufgeregte Organisatoren über den naßgeschifften Rasen. „Die Kids sollen sich wehren können und stark sein in einem zukünftigen Leben in der Welt der Erwachsenen“, erklärt Organisator Lothar Pohlmann vom Landesbetriebssportverband das diesjährige Motto. In diesem Jahr ist der Eintritt kostenlos, für einige Spiele werden aber kleine „Mitmachbeträge“ verlangt. Mit diesem Geld will Pohlmann zur Hälfte die weltweite Kinderorganisation UNICEF und die geplante Kinder- und Jugendfarm „Ohlenhof“ in Oslebshausen unterstützen. „Im letzten Jahr kamen rund 10.000 Mark zusammen.“
Hartnäckiger Nieselregen hat die vielen Sport-Prospekte an Pohlmanns Verbandsstand durchgefeuchtet. Karate, Kung-Fu, Trimm-Dich: alle diese Blättchen lassen die kleinen Festgäste stiefmütterlich links liegen. Denn die kostenlose Cola am Mc-Donalds-Stand gegenüber schmeckt viel besser, und auf dem aufgeblasenen Luftschloß läßt es sich ohne lästige Gummistiefel nach Herzenslust toben. Auch das als „größtes Spinnennetz der Welt“ gepriesene Wollnetz findet nicht so den kindlichen Zuspruch. Mit Wollfäden sollen die Bremer Kids eine riesige Fadenspinne bauen. „Als Symbol des diesjährigen Kindertages“, sagt der Festorganisator Pohlmann. Mühselig prökelt ein Vierjähriger in einem Wollknäuel herum und gibt schließlich entnervt auf.
Zwei Jungs im Mini-Auto wollen dagegen das Lenkrad gar nicht mehr aus der Hand geben. Patrick und Marco, fünf und sechs Jahre jung, drehen bereits die achte Runde mit „Jumicars“, den blauen, gelben und roten Mini-Autos auf einem nachgebauten Verkehrsübungsplatz. Am Vorfahrtsschild brausen sie mit satten 10 Stundenkilometern vorbei, nehmen zwei Gummireifen mit und übersehen fast das Stoppschild. „So geht das nicht“, schreit Alan Zimmermann, der die Kids vor dem Autofahren eigentlich in die Straßenverkehrsord-nung eingewiesen haben will. „Macht nichts. Hauptsache, die Karre läuft“, sagen die beiden und tuckern gemütlich weiter. Die Ampel schaltet auf Rot und Patrick tritt brav auf die Bremse. Die Fahrt für 3,50 Mark ist vorbei.
Hinten auf der starken Showbühne steht ein starker Radio-Bremen-4 Moderator, der mit einem Break-Dance-Girlie am Mikrofon starke Sprüche klopft. Neben dem Weser-Kurier ist Radio Bremen als Sponsor auf dem Kindertag präsent. Der jungsche Radiostar wird eifrig von den jungen Break-Dancerinnen umgarnt, die sich um das radioeigene Mischpult drängen und den jungen Mann erfolgreich vom Moderieren abhalten. Denn eigentlich wollte der jetzt Sozialsenatorin Tine Wischer auf die Bühne holen, die der „starken Klasse“ 9c vom Alten Gymnasium einen Kinderoscar überreichen will. Die Schüler bepinseln seit einem Jahr Treppenhäuser auf der Krebsstation in der Professor-Hess-Kinderklinik. Der Moderator setzt an, doch seine Worte gehen im Kindertrubel unter. Munter stapfen tiefergelegte Regenschirme durchs nasse Gras, zockeln Ponys im Kreis und brausen Mini-Autos im Parcour. Das Polizeimotorrad steht weiter im Gras mit starken Kids am Steuer, die sich für einen Tag ganz groß und stark fühlen dürfen in „einer Welt der Erwachsenen“. kat
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