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„Ist dir das jetzt zu wild, Dieter?“

■ Freie Sicht, klare Luft und überall Frieden bei der Oshosho-Tanznacht im „Bolé Bantou“. Doch das Beste daran, meinen viele, ist die Zigarette danach

Alle rauchenden Mitmenschen kennen das: In jedem Freundeskreis gibt es mindestens einen Haushalt, in dem das Wohnzimmer piccobello aussieht und man zum Rauchen vor die Tür muß; wahlweise die Balkon- oder Haustür. Ähnliche Atmosphäre herrscht einmal pro Monat im „Bolé Bantou“, dem Tanzveranstaltungszentrum in der Eduard-Grunow-Straße, die mit dem neuen Touri-Tanzschuppen „Ballermann“ und dem kürzlich geschlossenen Techno-Tempel „Drome“ wohl als Bremens kürzeste Disco-Meile durchgeht.

Jeden zweiten Sonntag im Monat findet dort nämlich die „rauchfreie Oshosho-Tanznacht statt, für Sannyasin, Freunde und alle, die gerne tanzen“. Beim Rauchverbot hört das Wohnzimmerflair keineswegs auf. Mit bunten Party-Lichterketten, von der Decke hängenden Töpfchen mit Efeu-Ranken, Tischblumen, Stoff-Papageien und der „Palmen vor Sonnenuntergang“-Panorama-Tapete hinterm DJ-Pult wird die private Atmosphäre ergänzt. Augenfreundlich helle Beleuchtung und gut lichtreflektierende gelbe Tapeten vervollständigen den Eindruck, man beträte keine Disco, sondern einen Privathaushalt.

Neulinge erwarten somit beim Eintreten oft noch mehr Reglements als den simplen Verzicht auf Tabak, Räucherstäbchen und Nebelmaschinen. „Muß man hier nicht die Schuhe ausziehen?“ wunderte sich am letzten Sonntag ein Pärchen, das andere Oshosho-Tanznächte gewohnt war und sah, daß das Publikum mit Straßenbesohlung gekommen war. Daß man sich dieser nicht zu entledigen hatte, störte niemanden. Einige nackte Füße waren auf der Tanzfläche auszumachen, etliche einigten sich auf den Sandalen-Kompromiß. Blaue Flecken kamen nicht zustande, und schlug man seinen Ellenbogen mal versehentlich einem anderen Gast unter die Nase, wurde sich anständig entschuldigt.

Nicht gerade gängiges Disco-Verhalten. Ebenso ungewöhnlich war, daß das „Bolé Bantou“ nicht nur um 20 Uhr aufmachte, sondern bereits kurz darauf voller war, als es sonstige Tanzschuppen in der Sonntagnacht jemals sein werden. Die Beliebtheit läge teils am Verzicht auf den Glimmstengel, wie KundInnen gerne betonen, aber auch an „der netten Atmosphäre und der guten Musik.“ Als militante NichtraucherInnen wollen die meisten nicht gelten. „Klar, unser aller Kultfilm ist 'Waterworld'!“ sagt Stefan, mit seinen 26 Jahren deutlich einer der jüngsten Tanzbegeisterten, und meint es ironisch. Seine Clique schaut ihn ratlos an; sie wissen nicht, daß Kevin Coster in jenem Film einen kerngesunden Kiemenmenschen spielt, der dem imperialistischen Tabakpflanzer Dennis Hopper das böse Handwerk legt. Die Ratlosigkeit ist schnell vergessen; den Film „Blues Brothers“ kennt die Clique nämlich, und als aus jenem Soundtrack Aretha Franklin ihren Hit „Freedom“ schmettert, wird die Tanzfläche gestürmt.

Das gesamte Musikprogramm war aus solchen Evergreens gestrickt. Michael Jackson und „Simply Red“ musizierten Seite an Seite mit „Hot Chocolate“ und George Michael. Klar erkennbare Favoriten gab es nicht. Rock-Blöcke waren selten und kurz. „Ist dir das jetzt zu wild, Dieter?“ fragte jemand vorsichtig seinen Freund, als „ZZ Top“ gespielt wurde. Dieter war es nicht zu wild. Nicht mal an „Sympathy for the Devil“ störte sich das Publikum der quasi-religiös organisierten Veranstaltung. Den Teufel hätte man ob des Rauchverbots eh des Hauses verwiesen, wenn er mit Pech und Schwefel erschienen wäre.

Zum Schönsten dieser Sonntagnacht gehörte jedoch die Zigarette danach. Nicht wenige Gäste saßen auf den Treppen und zogen gierig an ihren Nikotinstengeln.

Andreas Neuenkirchen

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