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Waschzwang im Abstiegskampf

taz-Serie „Das Verschwinden des öffentlichen Raums“ (Teil 5): Die Vision der Metropole ist längst Makulatur. Die Privatisierung der Stadt geht aber weiter  ■ Von Uwe Rada

Selten hatte eine Warnung diesen Beigeschmack: Posemuckel. Doch als der damalige Daimler-Chef Edzard Reuter 1991 dieses Schmähwort des Provinziellen dem Berliner Wortschatz einverleibte, war von Abstieg in die Drittklassigkeit noch keine Rede. Berlin wollte vielmehr erstklassig werden, eine „Dienstleistungsmetropole“ von internationalem Rang, zur „Drehscheibe des Ost-West-Handels“ avancieren und die Headquarters multinationaler Konzerne vom Standort Berlin überzeugen.

Daß der vormaligen Teilstadt tatsächlich der Sprung zur Metropole gelingen würde, stand schon allein wegen des wirtschaftlichen und städtebaulichen Nachholbedarfs außer Zweifel. Was Reuter zum Griff in die Rhetorikkiste veranlaßte, war einzig die Sorge, daß das Gesicht dieser Metropole dem internationalen Geschmack nicht standhalten könnte. Während Reuter – sekundiert von der FAZ und dem Frankfurter Architekturmuseum – damals für eine futuristische Hochhauslandschaft plädierte, insistierten andere auf der „europäischen Stadt“.

Fünf Jahre später steht das Bild von der Metropole noch immer – im wahrsten Sinne des Wortes – im Raum. Am Potsdamer Platz bemühen sich Bauarbeiter aus aller Herren Niedriglohnländer, den Anspruch Berlins auf einen Rang unter den Weltstädten in Beton zu gießen. Was dort, im Vergleich zu den ersehnten Hochhäusern, nun in der „gezähmten“ Variante kapitalistischer Selbstdarstellung aus dem Boden gestampft wird, zeugt in seiner beliebigen Monstrosität freilich davon, daß sich Berlin noch immer keinen Begriff von sich gemacht hat. Allenfalls weiß man heute, welches Attribut der vormaligen Mauer-Stadt nicht gebührt: Olympia-Stadt.

Sosehr diese das künftige Berlin betreffende Orientierungslosigkeit Berliner Politiker und Marketingmanager plagen mag, so nachhaltig droht sie die Identität der vorhandenen Stadt zu zerstören. Berlin jedenfalls wird, allem Gerede von der „europäischen Stadt“ zum Trotz, am Potsdamer Platz nicht zu finden sein. Was da auf der ehemaligen Brache im Schatten der Mauer entsteht, ist kein neues Zentrum, sondern die Summe dreier Privatstädte, deren hermetische Abgeschlossenheit gegenüber den angrenzenden Gebieten wie der Potsdamer Straße oder dem Tiergarten selbst die Bezeichnung „Stadt-Teil“ nicht zuläßt. Vielmehr wird der Potsdamer Platz einmal tatsächlich das werden, wovor die grüne Finanzexpertin Michaele Schreyer bereits beim Dumpingverkauf an den Daimler- Konzern gewarnt hatte: eine „Stadt in der Stadt“. Den Potsdamer Platz wird man einmal wahrnehmen wie La Vilette in Paris oder – im innerdeutschen Vergleich – die City-Nord in Hamburg. Ein Markenzeichen für Berlin? Eher eine corporate identity für die Investoren!

Mit dem Ausverkauf der Mitte an private Investoren hat Berlin schon 1989 den Anspruch aufgegeben, den öffentlichen Stadtraum selbst zu formulieren. Die implantierten Privatstädte werden künftig nicht mehr mit den herkömmlichen Straßenschildern, diesen Chiffren der öffentlichen Stadt, sondern mit den Firmenlogos multinationaler Konzerne und privaten Plätzen gepflastert sein. Die Privatisierung des öffentlichen Raums ist freilich nur das äußere Merkmal einer Stadtpolitik, deren Beschwörungsformel einer „europäischen Dienstleistungs- und Handelsmetrople“ nur die Übergabe wesentlicher Stadtbelange in die Hände privater Investoren kaschieren sollte. Selbst nach dem Olympiadebakel von Monte Carlo, das den Protagonisten der private city eigentlich vor Augen hätte führen müssen, daß die Differenz zwischen Außenwahrnehmung und Selbstbild schon fast pathologische Züge trug, wurde munter am Mythos der Metropole weitergestrickt: Noch 1994, auf einer Tagung des 4. Berlin-Brandenburgischen Unternehmenstages, sprach Posemuckel Edzard Reuter vom „Keim einer Erfolgsgeschichte“. Die Positionierung Berlins am östlichen Rand der europäischen Union und damit die unmittelbare Nähe zu aufstrebenden Triademärkten erlaube es, so Reuter, „Berlin-Brandenburg in Vergleich zu setzen mit Metropolenregionen und global erfolgreichen Megazentren wie Dallas, das in Reichweite zu Mexiko liegt, oder sogar zu Hongkong, an der Nahtstelle zur Volksrepublik China“.

Daß die Privatisierung der Stadt, die Unterordnung öffentlicher Belange, Räume, Interessen unter die Verwertungslogik des Marktes weitreichende Folgen für die gewachsenen urbanen Strukturen haben kann, davor hat bereits 1990 der New Yorker Stadtsoziologe Peter Marcuse gewarnt. Marcuse versuchte die befürchtete räumliche Segmentierung und soziale Entmischung Berlins auf den Begriff der „mehrfach geteilten Stadt“ zu bringen und unterschied die „Stadt des Luxus“ von der „gentrifizierten Stadt“, der „mittelständischen Stadt“, der „Mieterstadt“ und der „aufgegebenen Stadt“. Für Berlin, das im Vergleich mit anderen deutschen Ballungsräumen seine Polyzentralität und die sozialräumliche Mischung in den Innenstadtquartieren eigentlich als städtebauliche Qualität bewahren müßte, wäre diese räumliche Spaltung ein in der Tat schreckliches Szenario.

Doch die Kritik der Stadtsoziologen blieb ebenso ungehört wie ein Expertengremium, das im Auftrag des damaligen Wirtschaftssenators Norbert Meisner in einem Gutachten bereits 1992 eindringlich vor überzogenen Vorstellungen, „Fehlinvestitionen“ und der damit einhergehenden „Behinderung“ des Strukturwandels der Berliner Wirtschaft gewarnt hatte. Drei denkbare „Entwicklungsmodelle“ für Berlin wurden dabei formuliert: die „europäische Dienstleistungsmetropole“, die „Hauptstadt mit großstädtischer Wirtschaftsstruktur (Normalisierung)“ sowie das bloße „Regionalzentrum Ost“. Das Fazit des „Treuner-Gutachtens“ ließ an Klarheit darüber, daß der Senat künftig kleinere Brötchen backen solle, nichts zu wünschen übrig: „Die Kommission empfiehlt als künftigen realistischen Handlungsrahmen das Entwicklungsmodell ,Normalisierung‘“, hieß es im Abschlußbericht. „Eine Politik, die sich jetzt von den Vorstellungen des Metropolen-Modells leiten ließe, würde sich selbst und die Region Berlin überfordern.“

In der Tat sind die Rahmenbedingungen, die die elf Wissenschaftler, darunter Hans Heuer vom DIW und Ulrich Pfeiffer vom Bonner Institut Empirica, für das Modell „europäische Dienstleistungsmetropole“ voraussetzen, pure Wunschvorstellungen geblieben. Statt, wie von Eberhard von Einem vom Berliner Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik noch 1990 prognostiziert, jährlich um 60.000 zu wachsen, stagniert die Bevölkerungszahl. Daß sie nicht sogar sinkt, ist dabei weniger der Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitnehmer, sondern Immigranten vor allem aus Osteuropa geschuldet. Gerade aber die optimistischen Wachstumskoordinaten waren es, an denen auch der Bedarf an künftigen Büroflächen für die „Dienstleistungsmetropole“ hochgerechnet wurde. Heute gehen nicht einmal mehr hartnäckige Optimisten davon aus, daß der Sog des Regierungsumzugs dem Leerstandsgespenst auf dem Büroflächenmarkt ein Ende bereiten wird.

Doch auch in anderen Bereichen scheint die „Freude, schöner Götterfunken“, die am Brandenburger Tor zu Sekt und Feuerwerk in der Silvesternacht 1989 in den Himmel sprühte, noch immer die Sicht der Politiker zu trüben: Weder stieg – wie im Treuner-Gutachten als Soll für die Metropolenexistenz formuliert – die Berliner Wachstumsrate auf jährlich fünf Prozent; noch gelang der Berliner Wirtschaft eine „qualitative Umstrukturierung, die durch zahlreiche Unternehmensansiedlungen unterstützt wird“. Erst recht nicht zog der „expandierende Arbeitsmarkt hochqualifizierte Arbeitskräfte“ an. Der Kaltstart zur europäischen Metropole ist, so lautet das Fazit, im märkischen Sand steckengeblieben.

Die Ignoranz scheint sich nun zu rächen. Statt der empfohlenen „Normalisierung“ durch die Orientierung auf eine „Hauptstadt mit großstädtischer Wirtschaftsstruktur“ droht Berlin nun gar der Absturz in die Bedeutungslosigkeit eines „Regionalzentrums Ost“. Auch dessen Voraussetzungen waren 1992 im Treuner-Gutachten formuliert worden – sie lesen sich heute wie eine Zustandsbeschreibung der Berliner Gegenwart: Der „Integrationsprozeß in Europa für Berlin“ zeige nicht die erhoffte Wirkung. Die wirtschaftliche Strukturkrise in Osteuropa dauere an. Ferner komme es „zu massiven Berlin belastenden Wanderungsbewegungen aus den osteuropäischen Staaten nach Westen“, das Wirtschaftswachstum in Deutschland insgesamt und in Berlin liege deutlich unter dem langfristigen Trend, mit dem Ergebnis, daß es bei „starken Wanderungsbewegungen aus Ostdeutschland auf die alten Bundesländer“ bleibe. Zuletzt werde der Umzug der Regierung erheblich verzögert, weshalb die „Stadt mit erheblichen Imageverlusten zu kämpfen“ habe.

Vor diesem Hintergrund erscheint auch der lächerliche Waschzwang von Innensenator Schönbohm und Justizsenatorin Peschel-Gutzeit, der Versuch, die Schmuddelecken der Stadt auf „Hauptstadtniveau“ zu trimmen und die Schmuddelkinder zu vertreiben, in einem anderen Licht. Je enger der Spielraum der Politik in Zeiten der Deregulierung wird, desto wichtiger wird es, die politische Botschaft über Symbole zu formulieren, die man in den öffentlichen Raum setzt. Das öffentliche Rekrutengelöbnis ist dafür ein Beispiel, der Kampf gegen den Schmutz ein anderes. Beinahe scheint es, als kämpfe der Senat einen letzten, verzweifelten Kampf, um wenigstens den Abstieg in die Drittklassigkeit zu verhindern. Denn, so haben es auch die Berliner Wirtschaftsweisen erkannt: „Die in dem Modell ,Normalisierung‘ skizzierte Entwicklung wird nicht automatisch eintreten. Die Umstrukturierung der Wirtschaft, die Modernisierung des öffentlichen Sektors und die Veränderung der räumlichen Arbeitsteilung in der Region“ setzten nicht nur eine hohe Innovation in der Industrie und höhere Direktinvestitionen, sondern auch eine „weitere Erhöhung der Attraktivität der Region voraus“.

Attraktiv, so scheint es, ist derzeit aber nur das Umland. Schon jetzt verzeichnen die Umlandkreise einen viel größeren Zuwachs an unternehmensorientierten Dienstleistungen als Berlin selbst. Der Umbau zur Dienstleistungsstadt ist noch lange nicht vollzogen, da droht bereits eine neue Welle der Suburbanisierung die Berliner Innenstädte in ihrer städtebaulichen Qualität zu veröden. Allein in der Spandauer Altstadt beklagen die Einzelhändler einen Umsatzrückgang von über dreißig Prozent, seitdem im nahe gelegenen Dallgow das Megazentrum „Havelpark“ boomt.

„Berlin wird...“ – mit diesem Logo versah der ehemalige Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (wie Edzard Reuter heute in der Berlin-Werbung engagiert!) seine Ausstellungsplakate. Was wird denn nun Berlin? lautet die Frage, die offensichtlich auch Hassemer nicht beantworten kann. Zwar spricht noch keiner vom Armenhaus Europas, doch vom Weltmarkt oder einer global city ist – allen Gründerzentren und High-Tech-Werkstätten zum Trotz – auch keine Rede mehr. Selbst in der innerdeutschen Konkurrenz wird Berlin Frankfurt die Rolle als Bankenplatz nicht streitig machen. München bleibt das Zentrum der Rüstungsindustrie und Hamburg Medienstandort Nummer eins.

Der Begriff der Metropole Berlin, so lautet des harsche Urteil des Soziologen Stefan Krätke von der Frankfurter Universität Viadrina, sei nur noch „im Blick auf die Perspektiven sozialer und räumlicher Polarisierung gerechtfertigt, die Berlin künftig mit Städten wie London, New York und Mexico City verbindet“.

So erleichternd solche Szenerarien für diejenigen ausfallen mögen, die ohnehin nicht an den Automatismus „Investition gleich Arbeitsplätze gleich Wohlstand“ glauben, so fatal ist die Verlogenheit der Stadtpolitik allerdings für den öffentlichen Stadtraum. Trotz aller wirtschaftlichen Ernüchterungen und geplatzter Träume bauen sich die Investoren noch immer in den öffentlichen Raum, als wäre Berlin dabei, Paris oder London den Rang abzulaufen. Dabei nehmen die Friedrichstraße und der Potsdamer Platz als „Stadt in der Stadt“ nicht nur den Marcuseschen Horror vacui einer mehrfach geteilten Stadt vorweg, sondern sind gleichsam die baulichen und stadträumlichen Nachboten einer gescheiterten Entwicklung.

Daß die Privatisierung des öffentlichen Raumes auch viel mit dem alten Spruch von der Privatisierung der Gewinne und der Vergesellschaftung der Verluste zu tun hat, zeigt eine erst kürzlich veröffentlichte Meldung: Darin hat das bundesweit tätige Maklerbüro Blumenauer von sich reden gemacht. 75 Eigentumswohnungen in der künftigen Daimler-Stadt am Potsdamer Platz vermakelt die Firma. Kostenpunkt: zwischen 7.000 und 11.200 Mark pro Quadratmeter. Das ist nur unwesentlich weniger als der Berliner Senat vom damaligen Daimler-Chef Edzard Reuter für einen Quadratmeter der landeseigenen Grundstücke am Potsdamer Platz verlangt hatte.

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