piwik no script img

Die Reisenden von unter der Eisenbahn

■ Made in Manchester: Sechs Künstler aus dem „Green Room“ zeigen Ausschnitte ihrer Produktionen an einem Abend

Es ist dieses dumpf vibrierende Rumpeln, das von Zeit zu Zeit einen gar nicht so kurzen Moment lang alles hier widerstandslos in Besitz nimmt, geradezu lusterzeugend jeden durchfährt: Zuschauer wie Akteure, Barkeeper und –gäste, Techniker, Technik, Bühnen- und Café-Einrichtung, ja selbst die Bilder oder Photographien an den Ausstellungswänden. Der Ort ist ein altes Gewölbe unter der Eisenbahn, der Hauptlinie der „British Rail“ zwischen Oxford Road und Manchester Picadilly. Stahlträger, Wellblech, die sich auf ganzer Raumlänge unter dem Dach entlangziehenden Entlüftungsrohre – es gehört schon zur selbstbewußten Ironie einer Industriestadt wie dieser, einen solchen Ort den „Green Room“ zu nennen.

Doch der „Green Room“ ist ein Theater und trägt deshalb seinen Namen wohl auch weniger als Beschreibung seiner außergewöhnlichen lokalen Atmosphäre denn aus programmatischen Gründen. Mitten in Manchester, im „künstlerischsten“ Viertel dieser ansonsten doch eher kaufmännischen Stadt, umgeben von „late night“-Bars, Cafés, zahlreichen Galerien und dem örtlichen Experimentalfilmertreff, ja sogar nur einen Katzensprung entfernt von der „Hacienda“, jenem legendären Nachtclub im Herzen der Handelsmetropole – da haust die sogenannte Avantgarde, trifft sich die Szene zum Essen, zum Zuschauen oder Selberproduzieren. Seit 1987 dient das Eisenbahngewölbe als Studiotheater mit 165 Plätzen und angeschlossener Café-Bar. Der Raum ist flexibel umbaubar, so daß drei bis sieben verschiedene Produktionen pro Woche gezeigt werden können.

„Green“ ist der Ort, weil er sich für alles Etablierte in der Kunst eher weniger interessiert. „A centre for new and innovative performance work“ betreiben „Green Room“-Leiter Bush Hartshorn und seine kleine Mannschaft; und sie verstehen ihr Theater als die Angel einer nach zwei Seiten hin schwingenden Tür: zum einen als „regional resource“, als gut behütetes Experimentierfeld und Sprungbrett für einheimische Künstler, und zum anderen als Fenster zur internationalen Theater-, Tanz- und Performanceszene, die der lokalen Kundschaft Gastspiele und Erfahrungsräume von andernorts beschert. Um dieses Konzept zu realisieren, ist der „Green Room“ Teil eines Netzwerks von fünf an ähnlichen Grenzgebieten laborierenden Kunst- und Kulturzentren in Großbritannien, über das wiederum weltweit Kontakte zu Veranstaltern und Künstlervereinigungen bestehen.

Die Entwicklung und Förderung örtlicher Gruppen zu forcieren, steht ganz oben auf Hartshorns Prioritätenliste. Eine Reihe von Initiativen sind dazu in den letzten Jahren in Gang gekommen, so zum Beispiel die ganztägigen, happeninggleichen „new work showcases“: Seite an Seite stellen dann Künstler aus den Bereichen Tanz, Theater, Neue Musik, Performance, Video und Film ihre Arbeit vor. Das Manchestertum, im egomanen deutschen Kulturbetrieb durchaus noch die Regel, scheint am Ursprungsort seiner Bezeichnung weitgehend gebannt – zumindest, was die Kunst angeht.

Vom Zusammenstehen, vom Willen zum gemeinsamen Arbeiten an dennoch ganz verschiedenen und jedem das Eigene lassenden Projekten zeugt auch die jüngste Initiative des „Green Room“, das „Made in Manchester“-Paket. Sechs junge Künstler oder Compagnien erhalten die Möglichkeit, auf einer kleinen Tournee Ausschnitte aus ihrer Arbeit in verschiedenen Kontexten zu präsentieren, „to inform and be informed by these contexts“. Insgesamt knapp anderthalb Stunden dauert das Programm aus Manchester. Tom Roden, Leiter der Air Dance Comany, zeigt darin etwa als Solist, wie er aus Improvisationen seine Choreographien entwickelt.

Den neuesten Ausschnitt aus seiner ständig erweiterbaren, cabaret-artigen Ministückesammlung Peter's Favorite Jukebox spielt der Glee Club von Eddie Aylward, Steve Mead und Mark Whitelow, der sich mit witzigen und sehr eigenwilligen Vorstellungen und unter Vermischung von Musik, Tanz, Film, Puppen- und Menschentheater bereits seit 1988 eine echte Fangemeinde hat erobern können. Geleitet von einer mysteriösen Orakelstimme und bewaffnet nur mit Flipchart und Marsriegel erträgt Julia Eaton alles in ihrer One-Woman-Show I Was A Nobody – denn längst ist sie dieser Niemand nicht mehr, nach dreijährigem Durchschlagen als Regisseurin, Autorin, Technikerin, Organisatorin, Jugendgruppenleiterin, Dozentin und Sex-Symbol.

Früher hat sie auch schon Aufführungen der Performancegruppe Killer Disco inszeniert, die nun mit einem weiteren Programm aus Manchester kommt: Fame Cost von Angel Valentine (GoGo) und Clyde Silver (Post Punk GoGo) ist ebenfalls eines dieser low- bis no-budget-Showbiztraumverwirklichungsspektakel aus High Kicks, Videoeinsprengseln und einer guten Dosis Musik.

Die „Performance-Dichterin“ SuAndi präsentiert mit Sussed Words Dialoge zwischen Erzählung, Dichtung und Diaprojektion. Und Mike Mayhew schließlich, der schon zahlreiche Performances mit Profis und Laien an unterschiedlichsten, eigentlich non-theatralen Spielorten realisiert hat, zeigt Whiteman Blue Eyes, eine kleine Geschichte von Gewalt, Charme und Lügen, die ganz boxkampflos in einem Boxring spielt und einen bezeichnenden Untertitel trägt: „Forgive me father for I have sinned because I am frightend“.

„Young Bloods“ nennen die Briten ihre auf die Reise geschickten „Jungen Hunde“ aus dem Gewölbe unter der Eisenbahn. Das Wort „jung“ werde aber nicht im Hinblick auf das Alter der Produzenten oder ihrer Arbeit benutzt, wie „Green Room“-Mitarbeiterin Paulette Terry Brien erkläret. Stattdessen solle versucht werden, damit die Annäherung an bestimmte Arbeitsweisen auszudrücken. „Eine Annäherung an das Nachfragen und Untersuchen, an das Suchen nach neuer Sprache, nach individuellem ästhetischen Ausdruck.“

mpe

Made in Manchester. Teilweise in englischer Sprache. Eine Produktion des „Green Room“, Manchester. Ca. 70 min. 21. April, 22 Uhr, 22. + 23. April, 20 Uhr, K 2.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen