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Regelschule reformieren oder ergänzen?

■ Große Nachfrage bei Privatschulen deckt Reformbedarf der Regelschulen auf. Stahmer befürwortet private „Ergänzung“, Kritiker sehen Stabilisierung sozialer Ungleichheit

Von den rund 413.000 Berliner SchülerInnen geht nur ein Bruchteil auf eine staatlich anerkannte private Schule: knapp 15.000. Ginge es jedoch nach den Eltern, gäbe es weitaus mehr als nur 60 nichtöffentliche Schulen: Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Privatschulen wollen fast 20 Prozent der Eltern, daß ihr Kind in eine Schule in freier Trägerschaft geht – eine enorme Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage.

Hans Strenge erklärt den Wunsch der Eltern schlicht mit dem „Versagen des öffentlichen Schulsystems“. In seiner langjährigen Erfahrung als Gesamtelternvertreter für Privatschulen hat er immer wieder die gleichen Argumente gegen öffentliche Schulen gehört: keine Betreuung am Nachmittag, keine ausreichende Förderung von Lernschwächeren, zu viele Schüler in einer Klasse. In den vergangenen Jahren hätten die Eltern auch verstärkt Gewalt, Drogen und den hohen Anteil der nichtdeutschen Kinder an den öffentlichen Schulen als Gründe angegeben.

Doch die künstlich erzeugte Homogenität der Kinder an Privatschulen führt nach Ansichten von Ulf Preuss-Lausitz dazu, daß die private Schule zur Stabilisierung der sozialen und ethnischen Ungleichheit beitrage. Der Professor für Schulpädagogik an der Technischen Universität (TU) ist kein Anhänger von Privatschulen. Seine Kritik: Privatschulen sind „in der Regel kein Erfahrungsfeld für das Leben in einer multikulturelle Gesellschaft“.

Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) befürtwortet private Schulen als „Ergänzung“ zum öffentlichen System. Die Vorwürfe gegen die Regelschulen hält sie jedoch für „pauschal und wirklichkeitsfremd“. Privatschulen hätten den „gleichen Austattungsgrad wie die öffentlichen Schulen“.

Auch die bündnisgrüne schulpolitische Sprecherin Sybille Volkholz unterstützt prinzipiell die Einrichtung von Schulen in freier Trägerschaft. Staatlichen Schulen sollte in der Förderung jedoch unbedingt und immer der Vorrang gegeben werden. Der enorme Wunsch nach Privatschulen zeige aber deutlich, wie „groß der Reformbedarf der öffentlichen Schulen ist“. Den Wunsch der Eltern an längeren Betreuungszeiten und undogmatischeren Lernangeboten, wie zum Beispiel in den Waldorf-Schulen, hat auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) erkannt. Die GEW lehnt das Privatschulsystem jedoch ab. „Öffentliche Schulen müssen qualitativ und inhaltlich so vielfältig sein, daß Privatschulen überflüssig werden“, so Pressesprecherin Erdmute Safranski.

Doch obwohl der Bedarf an privaten Schulen augenscheinlich vorhanden und die Wartelisten oft ewig lang sind, sind beispielsweise im Ostteil der Stadt nach der Wende nur ganz vereinzelt private Schulen gegründet worden. Das liegt vor allem an den trägen bürokratischen Genehmigungen und dem enormen finanziellen Aufwand: Damit eine Schule staatlich anerkannt wird und Zuschüsse bekommt, muß bereits ein kompletter Jahrgang unterrichtet worden sein. Vorraussetzung: Sie muß einer öffentlichen Schule „gleichwertig“ sein. Bei einer Grundschule dauert die Anerkennung also sechs Jahre. Erst dann werden die Personalkosten von der öffentlichen Hand übernommen. Sachkosten und Miete werden nicht bezahlt. Freie Schulen mit alternativen Lernkonzepten und wenig Geld haben deshalb besondere Schwierigkeiten, staatlich anerkannt zu werden.

Die Berlin British School in Charlottenburg wartet erst gar nicht auf staatliche Unterstützung. Die LehrerInnen unterrichten nach dem englischen Schulsystem, sind also per se nicht gleichwertig. Als „exzellentes Ausbildungszentrum im Herzen Europas für Diplomaten- und Managerkinder“ verlangt die Berlin British School ein Schulgeld von über 15.000 Mark pro Schuljahr, die gelb-graue Schuluniform nicht eingeschlossen. Julia Naumann

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