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Flüchtlinge sollen frühzeitig zurück

Regierungspolitiker werden ungeduldig. Sie würden die Gäste aus Bosnien lieber heute als morgen aus dem Land werfen. Im September beraten die Innenminister über die Rückführung  ■ Von Ute Scheub

Berlin (taz/dpa) – Die Diskussion um die Zukunft der hier lebenden bosnischen Flüchtlinge wird schärfer. Der außenpolitische Sprecher der SPD, Karsten Voigt, warf Unionspolitikern „ideologische Verengtheit“ und „Unkenntnis der Lage in Bosnien-Herzegowina“ vor.

Der Hintergrund: Carl-Eduard Spranger, CSU-Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, hatte in einem Bild-Interview gefordert, die rund 320.000 hier lebenden Bosnier müßten „so rasch wie möglich in ihre Heimat zurückkehren, um sie wieder aufzubauen“. Er sprach sich gleichzeitig gegen Rückkehrhilfen aus: „Aber eins ist klar, es gibt kein Kopfgeld für die Rückkehrer.“ Der Minister sorgt sich um die Deutschen: „Wir dürfen die Belastbarkeit unserer Bevölkerung mit Ausländern auch nicht überstrapazieren. Schließlich sind wir kein Einwanderungsland und keine multikulturelle Gesellschaft.“

Zeitgleich zog der baden-württembergische Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU) in einem Brief an Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) gegen die Flüchtlinge zu Felde: Die hier lebenden Bosnier überließen „den Aufbau ihrer zerstörten Heimat den UN und verschiedenen Hilfsorganisationen, darunter auch aus Deutschland“. Mayer- Vorfelder drängte darauf, die Betroffenen möglichst schnell abzuschieben. Begründung: die Haushaltslage in Bund, Ländern und Gemeinden sei „bedrohlich“. Eine weitere Verschiebung der zwangsweisen Rückführung, die ab 1. Oktober beginnen soll, sei nicht vertretbar.

Karsten Voigt von der SPD wies die Kritik in einem Interview mit dem Südwestfunk als „ignorant“ zurück. Die Flüchtlinge könnten gegenwärtig gar nicht zurückkehren, weil geeignete Lebensbedingungen in vielen Gebieten erst noch geschaffen werden müßten. Sie seien „willkommene Gäste“ in Deutschland, sollten nach Abschluß der Wahlen in Bosnien zurückgehen und beim Wiederaufbau helfen.

Nach Angaben der bosnischen Botschaft in Bonn kehren seit der Unterzeichnung des Dayton-Vertrags im Dezember 1995 monatlich etwa 800 Flüchtlinge freiwillig zurück. Laut Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sind innerhalb Bosniens von insgesamt einer Million Vertriebenen bisher rund 80.000 in ihre Heimatregionen zurückgekehrt.

Im September wollen Vertreter von Bund und Ländern erneut über den Zeitplan einer Zwangsrückführung beraten. Bislang hieß es, damit nicht vor dem 1. Oktober zu beginnen. Einzelne Länder wie Nordrhein-Westfalen hatten angekündigt, die Flüchtlinge länger zu dulden und die Verpflichtung zur Rückkehr von der Situation in den Heimatregionen abhängig zu machen.

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