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Architektur im Laster

■ Der Fotograf Edgar Lissel nimmt Riesenformate auf

Eine völlig neue Entschuldigung für Falschparken hat Edgar Lissel: Sein gemieteter Lastkraftwagen muß stundenlang vor einem Monument herumstehen, da der ganze Lastenkasten zu einer Camera Obscura umgebaut wurde, mit der der Hamburger Fotograf großformatige Foto-Unikate herstellt. Solche Produktionsumstände bieten Stoff für Anekdoten, wie das hoffnungslose Unterfangen, einem Streifenpolizisten zu erklären, warum der LKW nicht aus dem Parkverbot gefahren werden kann. In Deutschland muß auch die Kunst sich der Straßenverkehrsordnung fügen, und das Bild ist ruiniert. So bietet das Konzept in Diskussionen mit Beamten und Mönchen reichlich Kontakt mit Menschen, auf den fertigen Bildern verschwinden die zufällig vor der Kamera anwesenden Personen aber bei den stundenlangen Belichtungszeiten zu einer sanft unscharfen Wolke. Sichtbar auf den metergroßen Negativen bleibt allein die unsterbliche und zugleich tote Architektur.

Eine so menschenabweisende Ästhetik paßte für die Abbildung faschistischer Großbauten hervorragend. Mit düsteren, negativen Schwarzweiß-Bildern der monumentalen Staatsbauten der 30er und 40er Jahre wurde Edgar Lissel bekannt und international ausgestellt. Doch wurde ihm auch kurzschlüssig vorgeworfen, die starken, aber kalten Fotos zeigten einen Mangel an Distanz zu den Formen totalitärer Herrschaftsinszenierung. Dabei kann dieser Eindruck, den die Bauten auf dem Fotopapier hinterlassen auch genau so gut im Gegenteil als Entlarvung ihrer wahren Qualität gelesen werden. Ein Lochkamerabild ist der „Physautopie“ (“Naturselbstdruck“), dem alten Wort für Fotografie noch sehr nahe.

Zehn großformatige Leuchtkästen aus Edgar Lissels neuer Serie „Gotteshäuser“ zeigt jetzt das Museum für Kunst und Gewerbe. Farbfilter verfremden die Abbilder deutscher Kirchen und geben ihnen eine unwirkliche, auch religiös interpretierbare Aura zurück, die die Bausubstanz allein heute nicht mehr transportiert. Trotzdem droht in dieser Serie ein wenig der Manierismus der eigenen Erfindung und eine gewisse, bunte Gefälligkeit. Aber für einen neuen Blickwinkel ist schon gesorgt: Edgar Lissel plant, ganze Wohnungen in Lochkameras umzubauen und so das Verhältnis von Innen und Außen, den Blick aus dem Fenster im Rahmen des Wohnumfeldes zu thematisieren. Hajo Schiff

Museum für Kunst und Gewerbe, Forum Fotografie, bis 13. Oktober; Werkstatt-Gespräch mit Edgar Lissel in der Ausstellung am 29. August, 18 Uhr

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