piwik no script img

Militarisierung des Raums

taz-Serie „Das Verschwinden des öffentlichen Raums“ (Teil 6): Sauber und proper soll der öffentliche Hauptstadtraum sein. Doch dies birgt auch Risiken  ■ Von Uwe Rada

Städtischer Raum ist staatlicher Raum. Das zumindest verfocht Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) im Zusammenhang mit der Räumung der beiden letzten besetzten Häuser in Westberlin. „Mit der Entscheidung Berlins als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland“, sagte der Exgeneral zur Begründung, „sind der Stadt zusätzliche Aufgaben zugewachsen.“ Berlin sei deshalb nicht mehr die Summe der Kieze, „sondern repräsentiert auch unseren Staat in der Weltöffentlichkeit“.

Von Berliner Boden geht also wieder Deutschland aus. Weil aber dieser Boden in den Jahren der Teilung so undeutsch geworden ist, muß er auf seine neuen Aufgaben erst einmal getrimmt werden. Und mit ihm seine Bewohner. „Einschränkungen der Bewegungsfreiheit“ mußten am 31. Mai etwa die AnwohnerInnen der Otto-Suhr- Allee in Charlottenburg hinnehmen. Weil an diesem Tage die Bundeswehr zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg in Berlin ihre Rekruten im öffentlichen Raum geloben lassen wollte, wurden die Anwohner in einem Polizeiflugblatt sogar aufgefordert, „zur Erleichterung polizeilicher Kontrollmaßnahmen“ ihren Personalausweis mitzuführen. Der Staat und seine Armee, das schrieben Verteidigungsminister Rühe und Bundespräsident Herzog den noch ungeübten Hauptstädtern ins Stammbuch, sind nicht nur zum Schutz der Bürger da, sondern müssen — zumal in der „Hauptstadt der Chaoten“ (CSU) — mitunter auch vor denselben geschützt werden.

Der Staat in der Stadt hat sich allerdings nicht nur in symbolischen Militärritualen wie Gelöbnis und Zapfenstreich, sondern auch räumlich ausgebreitet. Allein im Tiergarten, ehedem einer jener großstädtischen Räume, in denen der zivile, multikulturelle Charakter der Stadt ahnbar wurde, gleichen der Umbau von Reichstag, die Buddelei am Tiergartentunnel und die geplanten Regierungsbauten einer beispiellosen Landnahme städtischen Raums durch die Bundesregierung. Und auf öffentlich zugänglichen Gehwegen wie am Sitz des künftigen Verteidigungsministeriums am Reichpietschufer soll mit einem Sicherheitszaun wie selbstverständlich die Demarkationslinie zwischen Herrschaft und Volk markiert werden. Wie bereits die Investoren-Cities am Potsdamer Platz macht sich auch die Bundesregierung auf den Weg, die städtische Öffentlichkeit zu beschneiden, sie von sich fernzuhalten.

Zwar haben sich nach dem Mauerfall die Straßen und Plätze, insbesondere im Ostteil der Stadt, belebt, doch diese Lebendigkeit, so steht zu befürchten, ist nicht der Aufbruch in eine zivile Urbanität, sondern allenfalls geduldet und räumlich begrenzt. Der anstehende Regierungsumzug, aber auch der angestrebte Umbau Berlins zur Dienstleistungsstadt, so lautet die Devise von Bund und Land, erfordern auch einen anderen, wirtschaftlicheren Umgang mit der Ressource Raum. Es wird eng werden in Berlin. Nicht mehr die extensive Nutzung des städtischen Raums ist angesagt, sondern seine maximale Verwertung.

Daß diese Landnahme und Umwertung öffentlicher Räume zu Repräsentations- und Konsumzwecken nicht immer konfliktfrei verläuft, zeigte zuletzt der Papstbesuch. Zwei Farbeier auf das Papstmobil haben in Bonn zu einem mittelschweren Donnerwetter und der Drohung geführt, Berlin künftig im Protokoll hochrangiger Staatsbesuche links liegen zu lassen.

Innensenator Schönbohm reagierte darauf mit dem Versprechen an den Kanzler, sich persönlich um die Hauptstadtfähigkeit Berlins zu sorgen. Was er darunter verstand, hat er mittlerweile unter Beweis gestellt. Freiräume und Nischen wurden kurzerhand zu „rechtsfreien Räumen“ hochgespielt und zum Abschuß freigegeben. Dank dieser Ermächtigungsklausel, mit der auch schon einmal Gebrauchsrecht wie die „Berliner Linie“ gebrochen werden darf, soll das angekratzte Bild der Hauptstadt wieder poliert, der öffentliche Raum von allerlei Unwägbarkeiten und „Sicherheitsrisiken“ gesäubert werden. Die Berliner Republik, dieses süße Versprechen einer zivilen, friedfertigen und konfliktfähigen Republik mit einer Regierung in unmittelbarem Kontakt zu den Problemen der Bürger, scheint mit dieser Militarisierung des öffentlichen Raums bereits am Ende, noch ehe sie begonnen hat.

Es wäre freilich ein Irrtum anzunehmen, daß der eiserne Besen, mit dem der Innensenator durch die vermeintlich „rechtsfreien Räume“ fegt, nur „kleine, teilweise radikale und kriminelle Außenseitergruppen“ betreffe, „die das Bild und das innere Klima der Stadt bestimmen“. Gemeint sind vielmehr alle, die – aus welchen Gründen auch immer – sich nicht so recht ins neue Bild der Hauptstadt setzen lassen und folglich aus dem Stadtbild entfernt werden müssen: Bettler, Obdachlose, Prostituierte, Hütchenspieler, Punks, Drogenabhängige.

Der Kurfürstendamm hat in diesem Sinne „Modellcharakter“. Berlins einziger Boulevard, zu Mauerzeiten als Schaufenster des Westens gepriesen und von vielen Immigranten aus Osteuropa als Versprechen nunmehr ernst genommen, wird heute gegen all jene abgeschottet, die der ungestörten Konsumierbarkeit im Wege stehen. Nachdem die in der AG-City zusammengeschlossenen Geschäftsleute gefordert haben, den Ku'damm gegen „Bettelei, Kriminalität, Drogenhandel, Obdachlosigkeit und Verschmutzung“ zu verteidigen, hat der Senat stehenden Fußes gehandelt und die Überwachung der Westberliner Innenstadt einer Spezialtruppe anheimgegeben: den „City-Cops“, einer von vier Operativen Gruppen (OG) der Polizei. Seitdem die verbeamteten Saubermänner (im Dienste der privaten Wirtschaft) im Juli 1993 begonnen haben, am Ku'damm zu patrouillieren, konnte bereits in der 1994er Bilanz stolz auf 3.651 Platzverweise, 431 Strafanzeigen und 6.981 Personenüberprüfungen hingewiesen werden. Zielrichtung der Einsätze, so formulierte es der Chef der 22 Beamten starken Spezialtruppe, sei es, „ein bestimmtes Klientel aus der Dunkelheit herauszuholen, zu identifizieren und damit die Hemmschwelle des Täters hochzusetzen, Straftaten zu begehen“.

Ohne größere Aufmerksamkeit hat sich in den vergangenen Jahren ein Paradigmenwechsel in der Bewertung öffentlicher Räume vollzogen, dessen Auswirkungen kaum diskutiert wurden. Mehr und mehr – das zeigt das Beispiel der „City-Cops“ – findet Öffentlichkeit in diesen Räumen nach den Spielregeln privater Betreiber (oder Stichwortgeber) statt. Noch deutlicher wird diese Privatisierung unter dem Mantel der Sicherheit durch die auch formale Übergabe staatlicher Aufgaben an private Sicherheitsdienste. So patrouillieren seit 1993 die mit ihren Knüppeln und grauen Lederanzügen paramilitärisch anmutenden Motorradtruppen der „Berliner Wache“ vor Geschäften (oder bieten in Zehlendorf für 375 Mark im Monat die Überwachung eines Hauses an). Im Europa-Center sorgt ein polizeibekannter Libanese dafür, daß Obdachlose, Bettler, Alkoholiker, Punks draußen bleiben. Und der Wachschutz B.O.S.S. sorgt für „Sicherheit“ am Alex. „Der Staat“, rechtfertigt Reinhard Rupprecht, leitender Ministerialbeamter in der Abteilung Polizei des Bonner Innenministeriums, diese Privatisierung, „ist nur in totalitären Systemen in der Lage, ohne die Mithilfe der Bevölkerung und der Wirtschaft innere Sicherheit dauerhaft zu schaffen.“ Gleichwohl entspreche dem Gewaltmonopol des Staates kein Sicherheitsmonopol, sagte Rupprecht auf der 1995er Fachmesse SiTech in Berlin. „Der Staat darf und muß sich der Vernunft und Bereitschaft seiner Bürger sowie der Kompetenz und Konkurrenz des Sicherheitsgewerbes bedienen, will er Kriminalität dauerhaft und wirksam bekämpfen.“

Da stört es auch nicht, daß sich der „Anstieg der Kriminalität“ in Berlin eher in Grenzen hält und auch die „Ausländerkriminalität“ nur deshalb so hoch scheint, weil Deutsche schlicht und ergreifend keine Delikte gegen das Ausländergesetz begehen können. Die subjektive Bedrohung durch Kriminalität und die objektive Gefahr, einem Verbrechen zum Opfer zu fallen, sind aber nicht nur das Pfund, mit dem die Sicherheitsbranche wuchert (allein 15 Milliarden Umsatz 1995), sondern auch der Grund, warum die Militarisierung des öffentlichen Raums auf so wenig Gegenwehr stößt.

Seit der Jahrhundertwende bereits ist der Mythos der auseinanderfallenden Stadt ein vielbeschworenes Bild. Doch die Legende von der pathogenen Stadt, weiß der US-Soziologe Eike Gebhardt, „wird mit Vorliebe von Ordnungspolitikern jeder Couleur beschworen.“ Dabei werde zum sozialen Problem freilich nur sichtbares Problemverhalten gerechnet. „So gelten etwa Prostitution und Rauschgifthandel auf den Straßen, nicht aber Callgirls, Massagesalons und privat verschriebene Psychopharmaka durchweg als soziale Probleme.“ Dabei, so Gebhardt, sei der Begriff soziales Problem wohl eher Dekret als Diagnose. Mit Vehemenz verteidigt Gebhard deshalb die räumliche Nähe städtischen Lebens mit ihrer Vielzahl „sozialer Erfahrungsfelder“ als Schule der Demokratie.

Innensenator Schönbohm dagegen läßt keine Gelegenheit aus, das Bild vom schmutzigen Berlin zu beschwören, um seine Politik der repressiven Intoleranz zu rechtfertigen und das Bild von der properen Hochglanzhauptstadt zu zeichnen, in der die Anarchie des öffentliches Raums allenfalls noch als folkloristisches Aperçu zur Geltung kommen darf.

Daß Schönbohms Hauptstadtpolitik der Säuberung und Militarisierung öffentlicher Räume und Nischen dabei vom Koalitionspartner mitgetragen wird, zeigte zuletzt die Absenz führender SPD- Politiker bei den jüngsten Räumungen. Selbst die SPD-Linke ist mittlerweile „hauptstadtfähig“ geworden: Im Vorfeld des Rekrutengelöbnisses vor dem Schloß Charlottenburg hatte etwa Stadtentwicklungssenator Strieder erklärt, das „Gezerre“, das um dieses Ereignis gemacht werde, „ist einer Hauptstadt unwürdig“.

Erst vor kurzem sind die Sozialdemokraten in einer Arbeitsgruppe „SPD und Großstädte“ zum Ergebnis gekommen, ihr Augenmerk weniger auf die klassische Klientel – die Modernisierungsverlierer – zu richten, sondern auf die städtischen Mittelschichten, deren Anteil unter den SPD-Wählern bereits ähnlich groß ist wie der von Arbeitern oder Angestellten der öffentlichen Dienste. Mit dem Ruf nach sozialer Gerechtigkeit, so die Schlußfolgerung, könne die SPD nichts mehr gewinnen, „fundamentale gemeinsame Interessen“ wie das Zurückdrängen von Kriminalität dürften deshalb nicht länger tabu sein.

Die Militarisierung des öffentlichen Raums ist aber nicht nur die Reaktion auf jene, die das Bild der attraktivem sauberen Hauptstadt allein aufgrund ihrer Existenz als Lüge oder Fiktion entlarven könnten. Sie ist vielmehr auch die Vorwegnahme einer Politik, die unter den Vorzeichen von Deregulierung und sich abzeichnender sozialer und räumlicher Spaltung der Stadt schon einmal vorführen soll, daß mit dem Umbau der Industrie- zur Diensleistungsstadt auch der fordistische Anspruch auf soziale Sicherheit (und ein richtiges Leben im falschen) verlorengegangen ist. In der postmodernen Stadt lebt es sich gemütlich nur noch für die Eliten. Andere Metropolen haben bereits vorexerziert, daß es sich auch trefflich wirtschaften läßt, wenn ein Großteil der Stadtbewohner daran nicht mehr, oder nur noch im Schattensektor niedrigwertiger Dienstleistungen beteiligt ist.

Die FU-Politologin Margit Mayer scheut deshalb — trotz aller Unterschiede — nicht einmal den Vergleich mit der Megalopolis Los Angeles: „Industrielle Restrukturierung“, „wachsende Internationalisierung“, „ökonomische und soziale Polarisierung“ sowie die „Rekomposition der städtischen Form“, die in der 12-Millionen- Metropole zur Spaltung der Stadt in abgeschottene Milieus und High-Tech-gesicherte Stadträume geführt haben, seien auch in Berlin bereits zu beobachten. Darüber hinaus, so Mayer, seien auch „vergleichbare Tendenzen zur Kriminalisierung von Armut“ zu erkennen, „was im Wandel von sozialpolitischen zu sicherheitspolitischen Maßnahmen zum Ausdruck kommt“.

Doch die Militarisierung des öffentlichen Raums, eine Politik der Gratwanderung, die auf die „Ökologie der Angst“ (Mike Davis) baut, macht für Außenstehende wie Touristen das an die Wand gemalte Bild nicht selten zur normativen Kraft des Faktischen. Das Szenario von der Hauptstadt der Kriminalität, mit der die Repressionstechniken für schlechtere Zeiten schon jetzt ausgefeilt werden sollen, kann für ihre Protagonisten allerdings schon bald ins Gegenteil umschlagen und genau das auslösen, was es zu verhindern verspricht: eine gespaltene Stadt, deren ungeliebte Bewohner von der Polizei und deren Wunschbürger von den Marketing-Managern umlagert werden. Eine Stadt im Belagerungszustand freilich würde nicht nur der Bonner Ministerialbürokratie, sondern auch den hochqualifizierten Dienstleistern eine willkommene Geglegenheit geben, einen weiten Bogen um die Spree zu machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen