Frauen und Refah: Schleichwege nach Hause

■ Die Veränderungen kommen langsam und sind um so weitreichender: Die islamistische Regentschaft stärkt vor allem die männlichen Familienoberhäupter

Istanbul ist noch immer die Metropole des westlich-orientalischen Durcheinanders, mit Nachtleben, Leggings und luftigen Tops im Sommer. Und das wird sie vorerst auch bleiben. Noch immer kann frau in der gewohnten Kleidung auf die Straße und auch erst zu später Stunde zurückkommen.

Und doch: Die sogenannten Säuberungen der Straßen in Beyoglu, dem Vergnügungsviertel Istanbuls, von Straßencafés und Schmuckständen, ist nur eines der täglichen Übel, die eine religiös orientierte Stadtverwaltung und Regierung mit sich bringt. Für Frauen bedeuten die jetzt nachts leeren Straßen vor allem weniger Sicherheit und eine beschränktere Bewegungsfreiheit zu später Stunde.

Die Veränderungen kommen, auch für Frauen, schleichend, aber mit langfristigen Folgen – und daher um so gefährlicher. So wurde, laut Zeitungsberichten, in Samsun die Bewerbung einer Frau für den öffentlichen Schuldienst abgelehnt, weil sie auf ihrem Bewerbungsfoto mit freien Oberarmen zu sehen war. Sie wurde aufgefordert, ein Foto einzureichen, das sie in züchtiger Kleidung zeigt.

Das öffentliche Leben von Männern und Frauen wird immer weiter getrennt. Buslinien und Parks „nur für Frauen“ werden angelegt, und westlich gekleidete Frauen werden auf der Straße von verschleierten Frauen auch schon mal aggressiv auf ihre unzüchtige Kleidung hingewiesen.

Es sind vor allem die Männer, und längst nicht nur die stark religiösen, die durch die Mitregierung der Wohlfahrtspartei im Geschlechterkampf Rückenstärkung erfahren haben. So ist auch in der Familienrechtsprechung ein Roll- back zu beobachten. 1990 war endlich die Bestimmung aufgehoben worden, nach der der Ehemann zustimmen mußte, wenn die Ehefrau berufstätig werden wollte. Jetzt ist durch eine Gerichtsentscheidung, daß die Ehefrau in jedem Falle den Nachnamen des Mannes annehmen muß, die Rolle des männlichen Familienoberhauptes wieder gestärkt worden – ein Signal nach rückwärts.

Die Polarisierung unter Frauen selbst geht weiter. Bis vor kurzem war, wenn schon kein Dialog, so doch zumindest ein Austausch zwischen den religiös orientierten Aktivistinnen und anderen Frauen in der Türkei möglich. Heute radikalsieren sich die Islamistinnen immer weiter – zum Gespräch sind sie nicht mehr bereit. So besuchten radikale Islamistinnen in großer Anzahl Veranstaltungen von türkischen Feministinnen im Rahmen des NGO-Forums der UN-Konferenz HABITATII – einzig und allein mit dem Ziel, andere nicht zu Wort kommen zu lassen.

Vor allem im Wahlkampf waren Frauen stark in die Parteiarbeit eingebunden, um das Wählerinnenpotential der Refah zu vergrößern. Mit Erfolg. Von Tür zu Tür sind sie gezogen, tagsüber, und haben in der direkten Ansprache vielen Frauen die Refah als Alternative zum bestehenden System schmackhaft gemacht. Auch im Fernsehsender der Refah treten Frauen auf – längst nicht alle verschleiert.

Sobald es jedoch um Entscheidungsbefugnisse und Macht geht, sind die Frauen plötzlich verschwunden. So wurden alle Refah- Kandidatinnen fürs Parlament auf aussichtslose Listenplätze verbannt – die Fraktion ist rein männlich. Und in den Refah-geführten Stadtverwaltungen gibt es zwar weibliche Bedienstete, aber nur in unteren Chargen.

Die Veränderungen für Frauen kommen langsam und vorsichtig. Männer funktionalisieren den Islam, um ihre Position im Geschlechterkampf zu stärken – und das ist die eigentliche Gefahr. Die Türkei wird nicht von heute auf morgen zum islamischen Gottesstaat. Aber sie wird gegenüber Frauen aggressiver. Katja Habermann, Istanbul