: Im Untergang plötzlich sexy
„Moderne Menschen kaufen modern“: Eine Berliner Ausstellung zur DDR-Konsumkultur zeigt Alltagswaren, die noch nichts von Ökokatastrophen wissen ■ Von Detlef Kuhlbrodt
Den meisten Westlern war die DDR eher gleichgültig. Viele verachteten sie auch aus materiellen Gründen. Höhnisch lachten Schüler bei ihren obligatorischen Berlinklassenfahrten über die jammerlappigen Trabbis, denen es nur mit viel Mühe gelang, einen Lkw auf dem Transit zu überholen, als sei es ihr Verdienst, im Land von Mercedes und BMW zu wohnen.
Dem subkulturell interessierten Westler mißfiel die DDR nicht so sehr aus ethischen (die innenpolitischen Verbrechen der DDR verrechnete man mit den außenpolitischen der BRD), sondern vor allem aus ästhetischen Gründen: ein graues Land, das in den 50er Jahren steckengeblieben war. Ängstlich um gutes Benehmen bemüht, spießig; eher mürrisch-geschmacklos als arm schien einem die DDR, wenn man ab und an mal hinfuhr. Kulturbeflissen war sie – deshalb kriegte man Mitte der 80er Jahre ein DDR-Fahrrad, wenn man die Zeit abonnierte –, die Schriftsteller sprachen bis auf wenige Ausnahmen das Deutsch der fünfziger Jahre, die wilde Rockmusik der DDR (nicht zu reden von der „Singebewegung“) war bis FeelingB in etwa so rebellisch wie christliche Rockbands aus dem Westen, und so zynisch, das alles nun als tollen Trash zu goutieren, war man vor zehn Jahren noch nicht.
Als sie unterging, wurde die DDR dann plötzlich sexy; ein Freilichtmuseum mit durchgehenden Öffnungszeiten und machtlosen Museumswärtern, in dem Geschichte aufbewahrt worden war, deren Spuren im Westen längst getilgt waren.
Melancholisch war die befremdliche Geschichte des DDR-Sozialismus, für den sich nie so richtig interessiert zu haben man plötzlich bedauerte, wehmütig stimmte vor allem, daß die DDR die sechziger Jahre der BRD aufbewahrt hatte: mehr als zwanzig Jahre lang; so sahen sie schon etwas angeschlagen und verwittert aus.
Da auch der Kapitalismus eine Ideologie ist, bemühte man sich wacker, die Zeichen des besiegten Systems aus der Öffentlichkeit zu beseitigen. Denkmäler wurden beseitigt (und sind nun teilweise auf dem Hof eines bayerischen Devotionalienfans zu besichtigen), jedes Dorf bekam seine Schnellstraße, authentische 60er-Jahre-Cafés wurden durch minolfarbene Geschmacklosigkeiten ersetzt, DDR- Waren wurden verramscht oder weggeschmissen und bald auch vermißt.
Die nostalgische Geschichtsschreibung gab DDR-Parties, zu denen man in FDJ-Hemden umsonst reinkam, hippe Westzyniker formierten Gruppen wie die Liedertafel Margot Honecker, eine Weile überlegte man sich, ganze Städte zu DDR-Freilichtmuseen zu machen.
Man nahm dann doch davon Abstand und steckte die DDR dafür lieber ins Museum. Mal so, mal anders; die vielleicht gelungenste DDR-Ausstellung ist nun in der Berliner Kulturbrauerei, einem weitläufigen Mehrzweckkkomplex im sogenannten Szenebezirk Prenzlauer Berg mit Veranstaltungshalle, beeindruckendem Hinterhof und Galerie, zu sehen. Die Ausstellung „Wunderwirtschaft – DDR-Konsumkultur und Produktdesign in den 60er Jahren“ der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Zusammenarbeit mit dem Institut für Europäische Ethnologie und der Sammlung industrielle Gestaltung war ein gesellschaftliches Ereignis wie etwa die Lesung von Günter Grass vor einem Jahr an gleichem Ort.
Vielleicht waren 2.000, vielleicht auch nur 500 zur Ausstellungseröffnung am letzten Wochenende gekommen, in jedem Fall war der weite Hof der Kulturbrauerei voller plaudernder Menschen, kleine Mädchen kamen vorbei und verteilten Hackfleischbällchen, Berliner Pilsner, das „Bier von hier“, das in Westregie gebraut wird, floß in Strömen, und es war nicht ganz einfach, in die überfüllte Ausstellung zu kommen.
So blieb man zunächst draußen und sprach mit Ostkollegen, die man teilweise zuletzt vor Jahren gesehen hatte. Wolfgang Sabbath etwa, den ehemaligen Sonntag-Redakteur (der Sonntag war so das Zeit-Äquivalent der DDR), der ein bißchen wie Lew Kopelew aussieht und mittlerweile in Rente ist. Eigentlich würde er noch ganz gerne arbeiten, nur: „Wenn's regnet, hat man keine Lust, und wenn die Sonne scheint, will man ja auch was vom Tag haben.“ Oder Kollege Höge, der von Ost-West- Streitereien im Vorfeld der Ausstellung erzählte, die dazu geführt hätten, daß die zunächst beteiligten Westler sich wütend zurückgezogen hätten; eine Information, die ich vergaß zu überprüfen, weil mir die Ausstellung so ausnehmend gut gefiel.
Eng schlängelt man sich eine Wendeltreppe hoch, vorbei an Plakaten mit schönen Losungen („Unser Weg ist gut“ oder „Eßt mehr Früchte, und ihr bleibt gesund“), vorbei an Eingaben, die Versorgungmängel beklagen (Kondensmilch, Würfelzucker), um schließlich in unerwarteten Vergangenheiten zu landen. „Rückwirkend erscheinen die 60er Jahre in einem seltsamen Glanz“, hatte es im Ausstellungskatalog geheißen. Und „entgegen der weitverbreiteten Stereotypisierung der DDR als Mangelgesellschaft sollen hier nicht nur die Versorgungskrisen und Engpässe behandelt, sondern auch die Vielfarbigkeit und Farbigkeit sowohl der Gegenstände wie der Lebensstile aufgezeigt werden. Seit der Aufhebung der Rationierung (1958) waren auch die DDR-Läden voller Waren. Im Fernsehen lief allabendlich eine 20minütige Werbesendung, die Einkaufsnetze waren gefüllt, die Menschen modern angezogen, die Wohnungen gemütlich eingerichtet, und auf den Familienfeiern bogen sich die Tische.“ Es erscheint „wie ein Wunder, daß der DDR in den 60er Jahren der Abschied von der Rationierungswirtschaft und der Aufbruch in die Konsumgesellschaft gelang“.
Wer – auch als Westler – in den sechziger Jahren Kind war, konnte hier so allerlei Déjà-vus erleben. Die Moderne, die auch die DDR- Warenwelt in den 60er Jahren beschwor, unterschied sich nicht wesentlich von der des unter ungleich besseren Bedingungen gestarteten Konkurrenzsystems. (Der im Westen beliebte Lloyd entsprach zum Beispiel dem Trabbi.) Rückblickend berührt sie einen seltsam, weil ihre Idee des ständigen Fortschritts einer Gesellschaft zum Besseren hin inzwischen so altmodisch wirkt wie die Vorstellung einer homogenen Gesellschaft, die in dem Begriff der Moderne liegt. Unbekümmert wirken die Waren, die noch nichts von Ökokatastrophen wissen.
„Moderne Menschen kaufen modern“, hieß es, als man auch in einigen DDR-Kaufhallen die Sebstbedienung einführte und moderne Verbraucher über moderne Versandhauskataloge einzukaufen begannen. Wobei die Moderne der DDR, die später so jämmerlich veralten sollte, vielleicht noch authentischer wirkt, bezieht sie sich doch noch ausdrücklich auf die egalitären Vorstellungen der Massenproduktion.
Mit einer bei derlei Ausstellungen ungewöhnlichen Liebe zum Detail haben die Ausstellungsmacher 60er-Jahre-Räume gestaltet, die zugleich wehmütig stimmen und lehrreich sind. „1.000 Dinge“ des täglichen Bedarfs hängen an Bindfäden von der Decke, kesse Schaufensterpuppen in sozialistischen Chemiefasern (Wolpyra, Dederon) stehen modisch in den Ecken herum und werden von einer blinden, schwarzen Ausstellungsbesucherin betastet, Anleitungen zur Verbesserung mißlungener Trockenhauben oder zur heimwerkerlichen Herstellung von Mikrofonen stehen in Hobbynischen. Knallige Kunstfarben dominieren. Im Zentrum der angenehm überschaubaren Räume steht eine knallig-chemiegrüne Schallplattenbar. Hundert bunte Plattencover mit Titeln wie „Der Vetter aus Dingsda“ oder „Kimono aus Tokyo“ hängen partykellermäßig hinter der Theke. Vor der Theke sitzen Besucher mit Kopfhörern und hören sich wehmütig alte Schlagerparaden an: „Ingo Graf. Er spielt vortrefflich Klavier. Seine Stimme ist einprägsam. Hier seine erste Single: ,Bambina‘.“ Ein bärtiger Jeansträger um die 40 sitzt schon eine Stunde hier. „1.000 Platten hab' ich davon“, sagt er und hofft noch viel mehr aus zweiter Hand zu kaufen.
Wie einst, wie jetzt. Seltsam ist nun, daß man das hier ausgestellte DDR-Design inzwischen wieder in angesagten Berliner Easy-listening-Bars findet.
„In der DDR kannten eben alle alles“, meinte Horst vom Ostberliner Verlag Zyankrise, als es schon später war am Ausstellungseröffnungsabend und man draußen feierte. Thomas Putensen, der „Ete“ genannt wird und im Osten sehr berühmt ist, weil er in dem Film „Ete und Ali“ mitgewirkt hatte, spielte währenddessen ein generationsübergreifendes Musikpotpourri: Manfred Krug, Beatles, Udo Jürgens, Puhdys, Renft, später auch „Kalinka“.
Auch wenn der langhaarige Horst, dessen kleiner Verlag die ausstellungsbegleitenden Aufkleber hergestellt hatte, kein DDR- Nostalgiker ist, schien er sich doch wehmütig an eine Zeit zu erinnern, in der alle alles kannten und auch ähnlich sozialisiert wurden. Als ich sagte, daß mich gerade dies Familiäre und Zeltlagermäßige an der DDR unglaublich genervt hatte, meinte er, Frank Zappa hätte mal gesagt, in der DDR gäbe es die letzten wirklichen Punks. Horst war von der Ausstellung begeistert und hatte auch was Neues gelernt: Zum Beispiel, daß es auch Geschirrspüler in der DDR gegeben hatte. „Vielleicht war das ja auch der einzige.“
„Wunderwirtschaft – DDR-Konsumkultur und Produktdesign in den sechziger Jahren“. Kulturbrauerei, Knaackstraße 97, Berlin- Prenzlauer Berg. Unter dem gleichen Titel ist im Böhlau-Verlag ein hervorragender Ausstellungskatalog mit lehrreichen Aufsätzen zum Thema erschienen, 35 DM
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