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„Dann lande ich eben in der Gosse“

■ Die taz geht in die Luft – Teil 2: Flugangstseminare helfen nicht nur gegen die Angst vorm Fliegen

Meine Hände sind schweißnaß. Der durchsichtige Plastikbecher mit Kaffee knickt unter dem Druck der Finger ein und beschlägt vom Schweiß. Das Herz rast. Der Atem ist kurz und heftig. Mir wird schwindelig. Jetzt bloß nicht aus dem Fenster gucken. Die Turbulenzen schaukeln das Flugzeug leicht hin und her. Seelenruhig servieren die Stewardessen Lunchpakete und Getränke. „Die machen gute Miene zum bösen Spiel“, schießt es mir durch den Kopf. „Bestimmt ist schon längst alles zu spät, und wir stürzen gleich ab.“

Am Schlimmsten ist die Angst beim Start. Wenn das Flugzeug hochschießt, der Druck sein wehrloses Opfer in den Sitz preßt und es im Bauch kribbelt, das einem schlecht wird.

Meine Sitznachbarn scheint all dies nicht zu berühren. Sie lassen sich den Imbiß schmecken. „Haben Sie etwa Angst“, fragt der Herr neben mir plötzlich unvermittelt. Mein Mund ist zu trocken – als Antwort bekommt er nur ein verkrampftes Nicken. „Brauchen Sie nicht. Das Gefährlichste am Fliegen ist und bleibt der Weg zum Flughafen“, versucht mich der wohlmeinende Zeitgenosse zu beruhigen. „Blödmann“, denke ich. „Das weiß ich auch“. Und ich weiß noch mehr: „Statistisch gesehen ist es wahrscheinlicher, von einem Hai angegriffen zu werden als mit einem Flugzeug abzustürzen. An die zwei Milliarden Kilometer muß ein Passagier mit dem Flugzeug zurücklegen, bevor er – statistisch gesehen – überhaupt eine Chance hat, abzustürzen. Das sind immerhin 50.000 Flüge um die Welt“, bete ich vor mich hin. „Was ist da schon ein kurzer Flug von drei Stunden in die Türkei – statistisch gesehen, natürlich?“

Doch es nützt nichts. Selbst im Alkohol läßt sich die Flugangst nicht ertränken. Während die übrigen Passagiere essen, trinken, lesen, lachen, angeregt plaudern und flirten, verabschiede ich mich von dieser Welt, auf der ich mit meiner Flugangst ohnehin die Ausnahme zu sein scheine.

„Stimmt nicht. Rund ein Viertel aller Passagiere leiden nach Experteneinschätzung unter Flugangst“, erklärt Diplom-Psychologin Katharina Thünnihsen, nachdem die Teilnehmer des Seminars für entspanntes Fliegen ihre Angst im Flugzeug beschrieben haben. Seit 15 Jahren rückt die Lufthansa der Flugangst mit Hilfe von Kursen zu Leibe. Knapp 6.000 Flugverängstigte haben in dieser Zeit an den Seminaren teilgenommen. 94 Prozent wagten laut Statistik des Veranstalters den Schritt in den Flieger zum Abschlußflug. 90 Prozent der Kursteilnehmer steigen noch fünf Jahre nach dem Seminar ins Flugzeug, versichern die Veranstalter. Die meisten Passagiere, die unter „Aviaphobie“ leiden sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, erzählt Katharina Thünnihsen weiter. „Phobien bekommt man in der Regel erst ab 20.“ Kaufleute litten ebenso unter Aviaphobie wie Manager oder Hausfrauen.

Insofern ist unsere Gruppe durchaus representativ. Erich ist Direktor bei einer Modefirma, Ibrahim ist Journalist, Kay und Holger arbeiten als Technische Angestellte. Miriam ist Lehrerin, Grete Postbeamtin. Nils studiert Betriebswirtschaftslehre.

Sie haben alle Flugangst und kennen die Symtome: Schweißnasse Hände, trockener Mund, verspannte Glieder, Zittern, innere Unruhe. „Der Körper produziert zuviel Adrenalin, deshalb die Symtome“, sagt Katharina Thünnihsen. So einfach soll das sein? Adrenalin, ein simples Hormon des Nebennierenmarks, steigert den Blutzuckerspiegel und den Blutdruck, läßt das Herz schneller schlagen, sorgt für schweißnasse Hände und trockenen Mund? Und auch das Gegenmittel, um dem Hormon Herr zu werden, klingt denkbar schlicht: Entspannung. „Angst und Anspannung gehen immer miteinander einher. Jemand der entspannt ist, kann auch keine Angst haben“, so die simple Erklärung von Katharina Tünnihsen. Skeptische Blicke. Das soll alles sein? So einfach löst man sich aus der Umklammerung der Angst und kriegt sie in den Griff? Und auch das Herzklopfen, die schweißnassen Hände, die Anspannung und den trockenen Mund? „Ziel dieses Seminars ist es nicht, daß sie ihre Angst verlieren“, schränkt Thünnihsen sogleich ein. „Aber sie werden lernen mit ihrer Angst umzugehen.“

Unwillkürlich fällt der Blick aus dem Fenster des Konferenzraumes. Auf dem Bremer Flughafen landet gerade ein Airbus. Elegant setzen die Reifen auf der Landebahn auf. Nüchtern betrachtet, sieht es gar nicht so schlimm aus. Doch der bloße Anblick reicht als Signal um die innere Unruhe auszulösen, die sofort den ganzen Körper durchflutet.

„Atmen Sie tief durch die Nase ein“, fordert Katharina Thünnihsen die KursteilnehmerInnen auf. „Atmen Sie durch den Mund wieder aus. Achten Sie darauf, daß sie doppelt solange ausatmen wie sie einatmen. Ballen Sie die Hände zur Faust. Spannen Sie die Unterarme an und ziehen Sie sie an den Brustkorb. „Halten Sie die Spannung. Eins, zwei, drei und entspannen.“

Für ganz brenzlige Angstanfälle emphielt die Psychologin die „Feuerwehrübung“. „Pobacken zusammenkneifen, Beine anspannen, Hacken in den Fußboden drücken, Zehen nach oben. Hände zu Fäusten ballen, Arme anziehen. Augen fest zukneifen. Anspannen, Spannung halten. Eins, zwei, drei und entspannen.“ Tatsächlich. Die innere Unruhe ist wie weggeblasen. Aber ob das auch im Flugzeug funktioniert?

„Das sieht doch komisch aus, wenn ich mich im Flugzeug so hinsetze“, meldet ein Teilnehmer sofort Bedenken an. „Na und“, kontert Katharina Thünnihsen prompt. „Das macht doch nichts. Aber wenn es Sie stört, können Sie auch einfach nur die Pobacken zusammenkneifen und die Beine anspannen. Das merkt niemand.“ Der Mann legt die Stirn in Falten. „Wir haben alle Sätze im Kopf, die wir unbewußt befolgen“, fährt Katharina Thünnihsen fort. „Eine ehemalige Kursteilnehmerin hat zum Beispiel von ihrer Mutter immer zu hören bekommen, daß das Hemd eines Mannes die Visitenkarte der Frau ist“, plaudert die Psychologin aus dem Nähkästchen. „Solche Sätze führen dazu, daß wir immer bemüht sind, Haltung zu bewahren“, interpretiert sie den Spruch.

„Aus Dir wird nichts. Du landest in der Gosse“, schießt mir plötzlich die Mahnung meines Vaters durch den Kopf. Aha, das ist er also. Der Satz, der sich noch heute durch mein Leben schleicht.

„Hinter der Flugangst verbergen sich oft ganz andere Ängst“, fährt Katharina Thünnihsen fort. „Ich würde bei jedem von Ihnen etwas finden, wenn ich mich länger mit Ihnen beschäftigen würde. Das kann und will ich aber gar nicht. Man kann niemanden innerhalb von zwei Tagen therapieren. Sie sollen hier nur lernen mit ihrer Angst umzugehen. Die Angst soll nicht länger mit Ihnen umgehen.“ Wunderbar. Keines dieser üblichen Psycho-Seminare. Kein Seelen-Striptease. Keine Tränen. Keine peinlichen Situationen. Keine Berichte über dramatische Kindheitserlebnisse.

Beim Mittagessen wird es dann doch persönlicher. Erichs Vater ist passionierter Hobbyflieger. Sechsmal sei er im Krieg abgeschossen worden, erzählt Erich. „Doch er steigt immer wieder ins Flugzeug“. Manchmal fliegt Erich mit. „Einmal ist der Motor ausgefallen. Doch mein Vater ist ganz ruhig geblieben und hat sich erst mal eine Zigarette angesteckt“, erinnert er sich. „Aha“, flüstert eine Teilnehmerin. „Ein Übervater“. Nils, der BWL-Student, erzählt vom Konkurrenzkampf mit den KommilitonInnen. „Die fliegen überall hin zum Praktikum. Als jemand, der Flugangst hat, kommt man sich vor, wie ein Bäcker mit einer Mehl-Allergie“. Miriam leidet schon seit Jahren unter Angstzuständen. Holger bezeichnet sich selbst als „Workaholic“, der den Druck „manchmal nicht mehr ertragen kann“ und einen Tinitus auf beiden Ohren hat.

Nach dem Mittagessen stehen dagegen wieder harte Fakten auf dem Programm: Pilot Volker Matschke (34) beantwortet den Flugverängstigten ihre Fragen - und davon gibt es eine ganze Menge: „Was passiert, wenn das Flugzeug in ein Gewitter fliegt?“ „Kann ein Flügel abreißen?“ „Was passiert, wenn ein Triebwerk abfällt?“ „Sind Turbulenzen gefährlich?“ „Stimmt es, daß Alkohol im Cockpit nicht gerade die Ausnahme ist?“ „Ist es wahr, daß die Flugzeuge nicht mehr vollgetankt werden, um Geld zu sparen?“

Volker Matschke weiß auf alles eine Antwort: Flugzeuge fliegen nie durch Gewitter, weiß er. Auf dem Radar werden die Gewitter Kilometer vorher angezeigt. Flügel könnten nicht abbrechen, versichert der Pilot. Bei einem Triebwerksausfall könne das Flugzeug problemlos weiterfliegen. Turbulenzen seien ganz normal. Im Cockpit werde kein Alkohol getrunken, beteuert Matschke. Die Piloten kontrollierten sich gegenseitig. Keine Fluglinie spare am Treibstoff – die gesetzlich vorgeschriebene Mindestmenge reiche immer noch für einen Flug zum nächsten Flughafen und noch weiter. „Und was ist mit Lockerbie“, spielt eine Kursteilnehmerin auf das Bombenattentat im Dezember 1988 an, bei dem 270 Menschen ums Leben kamen. „Das ist auch meine größte Angst“, gibt Matschke unumwunden zu.

Mit dem Kopf voller technischer Details läßt sich nicht gut schlafen. Vielleicht ist es auch die Angst vor dem Flug von Bremen nach Frankfurt – die Abschlußprüfung des Seminars sozusagen. „Ich steige nicht in dieses Flugzeug. Ich kann nicht in dieses Flugzeug steigen“, pocht es hinter den Schläfen. Schnell, die Feuerwehrübung. „Du willst immer die Kontrolle haben. Du hast Angst, Dich jemanden anzuvertrauen. Du kannst Dich nicht fallenlassen. Du kannst nicht loslassen. Du hast kein Vertrauen“, meldet sich die innere Stimme. „Wenn Du diesen Flug verpaßt, verpaßt Du die Chance, etwas in Deinem Leben zu verändern. Es geht hier um mehr als nur um einen Flug von Bremen nach Frankfurt.“

Ob diese Entspannungs- und Atemübungen tatsächlich helfen? Den ganzen Vormittag sind die Kursteilnehmer damit beschäftigt, die Muskeln anzuspannen und sich wieder zu entspannen. Doch selbst kurz vor dem Abschlußflug scheint keiner der TeilnehmerInnen so recht daran an die Wirkung zu glauben. „Sie müssen das auch nicht glauben“, sagt Katharina Thünnihsen. „Durch die Muskelanspannung wird der Adrena linspiegel abgebaut – ob sie wollen oder nicht.“

Zum Start ins Cockpit? Warum eigentlich nicht. Die Knie zittern. Das freundliche Lächeln des Flugkapitäns mildert die Angst ein wenig. Kurz darauf rollt die Maschine langsam über die Startbahn. Schnell, die Feuerwehrübung. Anspannen, entspannen. Das Flugzeug wird schneller (anspannen, eins, zwei drei, entspannen) und schneller. Mit einem sanften Ruck schießt der Flieger über die Startbahn und hebt ab. Der Druck preßt mich fest in den Sitz. Es kribbelt im Bauch. Die Hände sind trocken. Das Herz schlägt ruhig. Der Atem ist gleichmäßig. Was für ein Glücksgefühl. Das Flugzeug schaukelt leicht im Wind. Schwindel? Vonwegen. Flugangst? Wie weggeblasen. Der Höhenmesser zeigt 4.000 Meter an. Und erst der Blick aus dem Fenster: Bremen – eine Miniaturstadt aus winzigen Häusern und Straßen. Herrlich. „O.k“, schießt es mir durch den Kopf. „Dann lande ich eben - von mir aus auch in der Gosse.“

Hermione Ganswind

Flugangstseminare, zwei Tage inklusive Flug und Verpflegung: 995 Mark. Agentur Texter,

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