: Die verlorene Ehre der Sozialdemokratischen Partei
■ SPD-Parteitag beschließt Stimmungsmache gegen Sozialhilfeempfänger
Schon heute will die Umweltbehörde der Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel (SPD) Stellen für Sozialhilfeempfänger aufdrängen: Wer Stütze kriegt, soll dafür auch zu Stadtreinigungsarbeiten wie Müll aufsammeln und Grafitti beseitigen herangezogen werden können, findet Umweltsenator Fritz Vahrenholt. Und zwar untertariflich, sprich gemeinnützig.
Denn das ist zur Genugtuung des SPD-Rechten nach dem Parteitag vom vergangenen Wochenende nun möglich: Die Hamburger Sozialdemokraten beschlossen zum Wahlkampfauftakt der Bürgerschaftswahlen 1997, den SPD-Grundsatz „Tariflohn statt Sozialhilfe“ aufzugeben. Nach mehrstündigen emotionsgeladenen Diskussionen wurde der umstrittene Passus zum Sozialhilfemißbrauch abgesegnet. Dort heißt es jetzt: „Der im Bundessozialhilfegesetz festgeschriebene Grundsatz, bei Verweigerung von zumutbarer Arbeit die Leistungsgewährung zu vermindern, muß auch in Hamburg umgesetzt werden. Der Senat wird aufgefordert, Möglichkeiten praktikabler Umsetzung aufzuzeigen.“
Damit wird dem Senat – und namentlich der parteilinken Sozial- und Arbeitssenatorin Fischer-Menzel – unterstellt, bisher bei Sozialhilfemißbrauch geschlampt zu haben. Ein Affront in den Augen der Sozialbehörde. Zwar wurde in Hamburg bisher abgelehnt, Sozialhilfeempfämger zu Arbeiten zu verpflichten, die sie nicht qualifizieren. Doch der Nachweis, sich um einen Job zu bemühen, muß schon lange erbracht werden.
Mit dem Argument, man müsse „tabufrei“ diskutieren, hatten die Parteirechten um Bausenator Eugen Wagner (Bezirk Mitte) versucht, den knapp 300 Delegierten den umstrittenen Passus schmackhaft zu machen. „Wir sind bis auf das Inzest-Tabu inzwischen ziemlich tabufrei“, spottete Finanzsenator Ortwin Runde. „Zumutbar ist eine Arbeit nur dann, wenn sie tariflich bezahlt und sozialversicherungspflichtig ist.“ Doch mit dem Antrag, diese Definition von „zumutbar“ in den Leitantrag aufzunehmen, konnte Runde sich nicht durchsetzen. Gestrichen wurden nur die länglichen Ausführungen zum Sozialhilfemißbrauch, die umstrittene Passage aber blieb drin. „Wir haben doch gar keine Arbeit, die wir anbieten können!“ konnte Detlef Scheele (Bezirk Nord) die Gespenster-Debatte gar nicht fassen.
Daß der Leitantrag zur „Zukunft der Arbeit“ auf den Streit um Sozialhilfemißbrauch zusammenschmolz, ließ Landespartei-Chef Jörg Kuhbier heftig erzürnen. Daß „irgendein Sack“ aus dem Landesvorstand dieses Thema „einseitig an die Presse“ weitergegeben hat, sei „unsolidarisch und infam“. Tja, „dumm gelaufen“, kommentierte Wissenschaftssenator Leonhard Hajen. Silke Mertins
Weiterer Bericht und Kommentar Seite 4 und Seite 10
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