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Warum Totalverweigerer nicht Totalverweigerer beraten dürfen

■ Kriegsgegner zu Bußgeld verurteilt, weil sie Totalverweigerer beraten Rechtsgrundlage: Ein Gesetz von 1935 / Anwalt aus Bremen empört

„Das ist ein altes Nazigesetz“, wettert Ulrich Finckh, Vorsitzender der „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen“ in Bremen. Finckh meint das Rechtsberatungsgesetz, gegen das jetzt zwei Mitarbeiter einer Totalverweigerer-Initiative in Braunschweig verstoßen haben sollen: Sie hätten ohne behördliche Genehmigung Betroffene rechtlich beraten. Die Staatsanwaltschaft sprach deshalb ein Bußgeld von 1600 Mark aus. „Ein Skandal“, findet der Vorsitzende, und die Anwältin des Betroffenen protestiert: „Das ist politische Diskriminierung.“

Das 1935 von Hitler auf den Weg gebrachte Gesetz sollte damals jüdischen Juristen jegliche Rechtstätigkeit verbieten. Dann wurde es modifiziert: Heute dürfen nur noch Anwälte und Notare geschäftsmäßig beraten. Nichtjuristen müssen sich eine behördliche Genehmigung beim Amtsgerichtspräsidenten beschaffen. „Mit diesem Gesetz werden die Braunschweiger jetzt als politisch verfolgte Gruppe geschickt diskriminiert“, meint Finckh. Denn die beiden Braunschweiger sind selbst als Totalverweigerer verurteilt worden und beraten jetzt Betroffene. „Da schlägt der Staat natürlich gerne zu“, so Finckh.

Mit dieser Meinung ist der Vorsitzende der Bremer Zentralstelle nicht allein. „Die Totalverweigerer sind denen doch ein Dorn im Auge“, ärgert sich auch der Bremer Totalverweigerer-Anwalt Günter Werner, der einen der Braunschweiger vertritt. Vier bis fünf Totalverweigerer-Prozesse hat der Anwalt pro Jahr in Bremen auf dem Terminkalender. Denn wer die im Grundgesetz verankerte Wehrpflicht total verweigert, begeht „Flucht“ oder verweigert den Gehorsam. Im Vergleich zu Braunschweig hat er in Bremen eine entspanntere Stimmung gegenüber Totalverweigerern ausgemacht. „Früher hieß es immer Knast“, so Werner. Doch vor einem Jahr habe das Oberlandesgericht erstmalig nur eine Geldstrafe verhängt. Das Urteil habe Mustercharakter und werde sich auch in weiteren Gerichtsentscheidungen niederschlagen. Die Braunschweiger aber hätten das Rechtsberatungsgesetz bloß als Vorwand benutzt, um diese Anti-Bewegung zu zerschlagen.

In Bremen ist ein derartiger Fall bisher nicht bekannt geworden. Denn eine dezidierte Total-Verweigerer-Initiative gibt es in der Stadt nicht. Größere Vereine bieten Rechtsberatungen für Kriegsdienst- und Totalverweigerer an – und nicht alle Berater haben einen Genehmigungsschein. So bietet die Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), eine evangelische Organisation und die „Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen“ ihre Dienste an. „Da haben nicht alle Berater eine Bescheinigung“, weiß Achim Lankenau, Bundessprecher der DFG-VK aus Bremen. Die kirchlichen Stellen dürften ohnehin per Gesetz Rat geben. „Braunschweig ist ein politisches Exempel, wie heute mit Totalverweigerern umgegangen wird“, sagt er. In den 70er Jahren hätte man die ganz normalen Kriegsdienstverweigerer kriminalisiert. „Heute sind die Totalverweigerer dran.“ Obwohl der DFG-VK einen bundesweiten Totalverweigerer-Fonds hat, habe es nie Probleme mit den Behörden gegeben. „Bei uns ist diese Beratung nicht so offensichtlich.“

Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft hingegen hält an ihrem Standpunkt fest. Daß die beiden Braunschweiger bereits in drei Gerichtsverhandlungen gegen befreundete Totalverweigerer vom Gericht als Verteidiger zugelassen wurden, läßt Eckehard Niestroj, Sprecher der Staatsanwaltschaft nicht gelten. Das habe mit der eigentliche Geschichte gar nichts zu tun: „Wenn ich mir ein Schild vor die Tür hänge und Rechtsberatungen geschäftsmäßig durchführe, brauche ich eine Genehmigung. Und die hatten sie nicht.“ Die beiden Braunschweiger haben nun Einspruch eingelegt. kat

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