■ Nachschlag
: Eine Dresdner Inszenierung nach gefundenen Briefen im Theater o.N.

Spielstatt ist ein Zimmer im Hochparterre. Mitten im Szene-Rimini jungdeutscher Brachialgeselligkeit rund um den Kollwitzplatz arbeitet das Theater o.N., das Theater ohne Namen, im Bergwerk der leisen Erinnerung. Die Zuschauer sitzen an drei Wänden, ein Fernseher-Ungetüm aus der Frühzeit der DDR-Wohnzimmerkultur, eine Deckenlampe wirft aus vier Fruchtdolden trübes Licht auf einen Laufsteg. West-östliche Schlager der 60er und 70er Jahre. Mit dem Befremden vor den Worten beginnt Werner Hennrich das Gastspiel der Dresdner Produktion „In der Vermutung der indirekten Ampelfarbe Gelb“. Stumm und zweifelnd hält der untersetzte Mann drei Lettern gegen das Licht. M, I, S, die fehlende Buchstabensubstanz für das Motto des Abends „Man muß sich nur darauf einstellen“ – zwei Buchstabenleisten, auf einen gelben Vorhang montiert. Das fällt nicht eben leicht angesichts der bürokratensprachlichen Wortverkettungen, doppelt zerbrochen und sinnverdreht von einem wahnhaft verschlossenen, ver-rückten Selbstbewußtsein.

Die „rekonstruktion zum grund meiner unschuldigen dresche im staat ddr“ ist der in einer hermetischen Privatsprache verfaßte Versuch der „person hans cotta“, seiner zerrütteten sprachlichen Mitteilungsfähigkeit Botschaften abzuringen. Botschaften ausgerechnet an die Ständige Vertretung der BRD „im örtlichen staat ddr“, mit dem Ziel, „meiner familie meiner person schutz zu erteilen im staat ddr“. Diese Chronik eingebildeter wie stattgehabter Verfolgung entstammt einem weggeworfenen Manuskriptkonvolut, 1990 aufgefunden von Steffen Reck am Ufer der Elbe. Im wechselnden Vortrag geben Hennrich und Reck in der gemeinsam mit Gamma Bak inszenierten Bühnenfassung zwei Entwicklungsgeschichten einer Person. Als selbstbewußter Bürger der DDR kämpft Hennrich gegen die universale Einkreisung durch Spitzel des Staates mittels der Öffentlichkeit einer Anprangerungsrede im Fernsehen. Das Alter ego Reck hingegen erzählt aus dem Heute des von den Ereignissen bestätigten Wahnes. Im steten Hin und Her schiebt er seinen autistisch verkrampften Körper über den Laufsteg, entspannt erst im kindlichen Imitationsgesang eines Schlagers. Alles andere als ein theatralischer Text ist „In der Vermutung der indirekten Ampelfarbe Gelb“ ein apokryphes Zeugnis von Identität, der Verschlingung eines realen Verfolgungswahnes mit einer wahnhaft jede Abweichung verfolgenden Realität. Nikolaus Merck

Wird im Herbst in den Spielplan des Theater o.N. übernommen