: Hamburger Funkpiloten auf Mitsprachekurs
■ Kurierfahrer werden Anteilseigner und wirken Auswüchsen der Branche entgegen
Im Hamburger Kurierwesen ist eine kleine Revolution ausgebrochen. Die Fahrer der Funkpiloten steigen in ihre Firma ein – aus abhängigen Geschäftspartnern werden Anteilseigner. „Seit Mai sind wir an der Zentrale beteiligt und halten 25 Prozent der Anteile. Dieses Modell ist für das Kurierwesen in Europa einmalig“, sagt Fahrer-Sprecher Jan Rieck.
Das Geschäft der Hamburger Kurierdienste blüht. Zur Zeit konkurrieren rund 100 Anbieter mit 2500 Fahrern, darunter 200 Radler, um Aufträge. Die oft satten Gewinne wandern jedoch meist in die Taschen der Firmenchefs – die Fahrer verdienen schlecht und sind sozial nicht abgesichert. „Die Bosse stellen zuviele Fahrer ein und kassieren für die Vermittlung von Aufträgen von ihnen Monatspauschalen von 1000 bis 1500 Mark. Den Kurieren droht bei jeder Autoreparatur die Pleite“, kritisiert Rieck. Die Kuriere benötigen einen Mindest-umsatz von 50 Mark in der Stunde. Rieck: „Viele Kuriere kommen höchstens auf 20 bis 30 Mark. Die fahren dann fast umsonst.“
Die Fahrer werden dafür an das Funknetz der Vermittlungszentrale angeschlossen. Mit Gewerbeschein als Unternehmer ausgewiesen, sind sie dennoch vom „Mutterschiff“ abhängig. Fallen sie bei der Zentrale in Ungnade, ist das finanzielle Desaster absehbar. „Vor einem Jahr wollten wir eine Fahrvereinigung gründen. Die Geschäftsleitung hat mich rausgeschmissen, und ich mußte Schulden machen“, berichtet der ehemalige „Stadtboten“-Kurier Rainer Haage. Außer ihm erhielten weitere 14 aufmüpfige Kollegen die Kündigung.
Genervte Fahrer gründeten schon im September 1992 den „Verein der Fahrer der Funkpiloten“ (VFF). Dessen Ziel: mehr Mitbestimmung in der Funkzentrale. „135 Fahrer haben damals den Status der Scheinselbständigkeit verlassen“, bilanziert der VFF-Vorsitzende Jan Rieck. Seitdem muß die Geschäftsführung sich die Mitmischung der Kuriere bei der Gestaltung der Kundentarife, bei der Neueinstellung von Fahrern und der Besetzung der Funkerplätze gefallen lassen.
Da die Fahrergemeinschaft mit diesem Vorstoß faktisch ein Kartell gegründet hatte, mußte die Wirtschaftsbehörde dem später so genannten „Hamburger Modell“ zustimmen. Den „Auswüchsen“ der Branche, urteilt Behördensprecher Rainer Erbe wohlwollend, wirke das Modell entgegen. „Die Fahrer der Funkpiloten sind sicher besser bedient als deren Kollgen bei vielen anderen Firmen.“
Dem „Hamburger Modell“ haben sich inzwischen weitere Kuriere angeschlossen, darunter die Biker von „Der Kurier“. Um die Hamburger Kurierzentralen durch den Aufbau von Fahrervertretungen zu demokratisieren, wurde 1993 zudem der Dachverband der Hamburger Kurierfahrer (DHK) gegründet.
Nach Mitbestimmung kommt der Mitbesitz. „Jetzt können wir als Fahrerverein auch bei der Geschäftspolitik ein Wörtchen mitreden“, freut sich Jan Rieck. „Kooperationsverträge mit anderen Firmen, das „Ziehen“ von Kunden – nichts läuft mehr ohne uns. Durch die Mitgestaltungsmöglichkeiten sichern wir unsere Arbeitsplätze. Außerdem sind wir an dem – von uns geschaffenen – Wertzuwachs der Firma beteiligt.“ Jeder der derzeit 140 Funkpiloten hat dem VFF 2000 Mark als Darlehen zur Verfügung gestellt – die Bedingung für den Einstieg ins neue, selbstbestimmte Kurierzeitalter. Volker Stahl
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