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Spucknapf oder güldener Ascher?

■ Norbert Radermacher installierte einen Störfaktor auf dem Teerhof – Ausstellung im Neuen Museum Weserburg

Ein Schälchen aus purem Gold in einem stinknormalen Straßenpflaster – da stimmt doch was nicht. Wer forschen Schritts von der Bürgermeister-Smidt-Brücke zum Teerhof abbiegt und den Torbogen des alten Speichergebäudes durchqueren möchte, hält plötztlich inne. Andernfalls würde man mitten in einem zart gehämmerten Schälchen landen, handtellergroß, rund und leuchtend.

Und so steht der aufgeweckte Stadtflaneur da und wundert sich. Kein Hinweischild an den Wänden des Neuen Museum Weserburg, keine Warnung, nichts informiert über die jüngste Veränderung auf dem Teerhof. Und das sei gut so, verteidigt Kunsthistoriker Peter Friese vom Neuen Museum Weserburg die eben installierte Außenarbeit des Berliner Objektkünstlers Norbert Radermacher. Schließlich handele es sich um demokratische Kunst. Jeder könne sie sehen und dazu denken, was er möchte. Alle Assoziationen angesichts der dauerhaft in den Granitboden installierten „Schale“ seien erlaubt, heißt es. Selbst Vergleiche mit Aschenbecher, Spucknapf oder Minigolf-Loch.

Der Kunsthistoriker der Weserburg freilich denkt in anderen Dimensionen. Radermachers jüngste Arbeit erinnert ihn an einen funkelnden Abendmahlkelch und den Goldenen Gral, jenem Gefäß für das berühmte wundertätige Elexier. Dieser Gral sei einst in einer von Wasser umgebenen Burg verwahrt worden, erzählt Friese. Der Vergleich zur Weserburg liege auf der Hand.

Der empfindsame Radermacher, 43, liebt solch Rätselraten und Versteckspiel. In Berlin, Paris, Riga und vielen anderen europäischen Städten hat er nach dem Düsseldorfer Kunststudium an unauffälligen Orten Störfaktoren eingebaut. Daß diese Arbeiten von vielen, vielleicht sogar den meisten Passanten übersehen werden, ist der Preis für die behutsame Irritation. Grelle Gags liebt der gebürtige Aachener und überzeugte Stadtmensch (“Die Stadt ist meine Landschaft“) nunmal nicht.

Das gilt auch für Bremen. Wer könnte schon aus dem Effeff weitere Radermacher-Arbeiten im öffentlichen Raum herunterschnurren? Dabei gibt es sie schon lange. Seit 1985 versucht sein Mosaik mit arabischem „Ornament“ die verpestete Monotonie des Gutstav-Deetjen-Tunnels beim Bahnhof zu durchbrechen. Ohne größeren Erfolg. Immer wieder wurde das farbig gefaßte Betonrelief zuplakatiert.

Und seit 1988 winden sich Radermachers „Geländer“ auf dem Hillmannplatz und unter der Hochstraße am Breitenweg, beide in Gestalt des Unendlichkeitszeichens. Doch im Streit mit all den anderen Begrenzungs- und Leitsystemen, Stangen, Geländern und Zäunen drohen auch diese zweckfreien Kunstobjekte optisch unterzugehen. Deshalb hat jetzt das Neue Museum Weserburg seinen Hausmeister losgeschickt. Mit Pinsel und Farbe habe der die „Geländer“ wieder aufgefrischt, erzählt Friese.

Solch handfeste Verschönerungsaktionen waren bei den derzeit in der Weserburg ausgestellten Kunstwerken nicht notwendig. Die meditativen Zeichnungen mit knappem Strich und der „Bretagneblock“ aus dem Wiesbadener Museum sind fein säuberlich gerahmt.

Auch der „Farbtisch Grau“ aus dem Besitz des Künstlers sieht makellos aus wie ein eben erworbenes Büromöbel. Berührt werden darf er nur mit weißen Handschuhen. Und auch das nur vom Museumspersonal. Doch der Aufwand lohnt. Sobald die Schubläden aufgezogen werden, erscheinen monochrome Tonplatten in Rot, Blau und Violett, die zu Farbträumen anregen.

Sobald der Traum beendet ist, steht man plötzlich wieder vor der „Schale“, einer wunderschönen Irritation mitten auf dem zugebauten Teerhof. Übrigens nicht der einzigen Überraschung, die bremischer Boden zu bieten hat. Auf dem Domshof, etwa 20 Meter vor dem Brautportal des Doms, befindet sich ebenfalls ein quadratischer Stein mit einem schlichten Kreuz. Bis zu exakt diesem Punkt soll 1831 der abgeschlagene Kopf der öffentlich hingerichteten Giftmörderin Gesche Gottfried gerollt sein. Und noch heute spucken angeblich einige BremerInnen auf diesen Stein. Wie sie Radermachers „Schale“ bedenken werden, ist noch offen. Sabine Komm

Radermachers „Schale“ bleibt, die Ausstellung ist hingegen nur bis 9. Februar zu sehen. Der Katalog kostet 10 DM.

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