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"Kitsch mögen wir überhaupt nicht"

■ Pierre et Gilles in Weimar: Die Pariser Fotografen sorgen mit ihren Bildern für Aufsehen in der Klassikerstadt. Ein Gespräch

Seit Monaten verfolgt die Kamera jeden ihrer Schritte, das Mikro fängt jedes Wort ein: Ein amerikanischer Freund dreht einen 25-Minuten-Film über Pierre und Gilles. Auch inmitten postmoderner Beliebigkeit der Kulturmetropolen sind die beiden Pariser Künstler außergewöhnlich genug, um Aufsehen zu erwecken. Derzeit versetzt ein „P & G“-Ausstellungsplakat mit einem wohlproportionierten Junggärtner, der seine Männlichkeit nackt und ungeschminkt in die Blumen hält, eine klassikgedüngte Kleinstadt in Neugier und Schrecken: 77 Werke von Pierre und Gilles hängen bis September in Weimar. Die Schau ist ihre bisher größte in Deutschland, im November wird eine Retrospektive in Paris eröffnet.

Pierre und Gilles lernten sich 1976 auf der Party eines japanischen Modeschöpfers kennen. Seitdem leben und arbeiten die beiden zusammen. Mittlerweile müßten sie Mitte Vierzig sein, genau weiß das keiner. Beharrlich schweigen sie sich über ihre Vergangenheit, ihre Zukunftspläne und sogar ihre Nachnamen aus.

taz: Viele eurer Bilder dienen als Gestaltung für Bücher oder Plattencover. Welche Arbeit ist attraktiver – die für den Kommerz oder die für Ausstellungen?

P & G: Für uns ist beides völlig gleichwertig. Unsere Bilder entstehen ohnehin immer auf dieselbe Weise – egal für welchen Zweck. Wäre doch schade, wenn man sich auf eines beschränken müßte. Offen gesagt: Es macht einfach Spaß, daß Kunst auch verkauft werden kann. Die Zeiten sind vorbei, in denen Künstler sich vor Kommerz schämen mußten. Im übrigen haben wir schon 1977 Plakate produziert und erst Jahre später unsere erste Ausstellung zusammengestellt.

Aber neben der Art, wie ihr Motive darstellt, hat euch die Verkäuflichkeit eurer Bilder in den Ruf gebracht, Kitsch zu produzieren. Stört euch der billige Beigeschmack dieses Wortes nicht?

P: Kitsch, dieses Wort mag ich überhaupt nicht. Die Leute brauchen für alles einen Begriff, damit sie sich sicherer fühlen. Das ist völlig bourgeois, dieses krampfhafte Ringen um einen Fachbegriff. Man könnte höchstens mit vielen Worten versuchen, unsere Arbeit zu fassen – Trauer, Freude, Sex... Aber unsere Bilder lassen sich nicht intellektuell katalogisieren nach Schwarz oder Weiß, wie etwa als „Kitsch“.

Vielleicht haben ja die Kunstwissenschaftler recht, die bei Pierre und Gilles eine subtile Persiflage der Kulturindustrie entdecken. Ist die glattgestylte Kylie Minogue auf einem unechten Jahrmarktspferd Ironie?

P : Kylie Minogue ist bezaubernd.

G: Wir machen einfach Bilder, und die Leute sollten sie sich angucken wie Bilder. Da kann man nicht viel erklären, wir finden sie wirklich schön und arbeiten mit Leuten, die wir mögen. Wir lieben alle unsere Models. Wenn wir unsere Bilder später angucken, ist es wie das Blättern in einem Familienalbum.

Gibt es einen roten Faden in euren Arbeiten? Die Serien „Les plaisirs dans la fôret“ (Freuden im Wald), die alle im Wald angeordnet sind, oder „Les jolis voyous“ (Hübsche Nichtsnutze) – jeweils Menschen vor einer Wand – scheinen doch Programm zu haben.

P & G: Nein, einen roten Faden gibt es nicht. Wir lassen alles auf uns zukommen. Wenn uns eine Inszenierung gefällt, machen wir sie, ohne zuvor ein langfristiges Programm zu entwerfen.

Manche Bilder sind mehr als „einfach schön“. Etwa „Le triangle rose“, das einen schwulen KZ- Häftling zeigt. Habt ihr doch einen politischen Anspruch?

P & G: Das ist kein politisches Bild, das ist, wenn man so will, ein Heiligenbild. Es ist genauso wichtig wie etwa die „Ice-Lady“ mit Sylvie Vartan im roten Plastikkleid. Alles ist gleich wichtig.

Der gefangene Jüngling, der einen hinter Stacheldraht und unzähligen Kerzen anschaut, wirkt mit blutig roter Lippe, dunklen Augen und ebenmäßigem Gesicht fast erotisch. Ist das nicht geschmacklos?

P & G: In Deutschland interpretiert man in so ein Bild wahrscheinlich zuviel hinein. Die Leute sollten es einfach auf sich wirken lassen. Wenn sie die Bilder dann mögen, freuen wir uns.

Der Wald, in dem die „Plaisirs dans la fôret“ aufgenommen sind, glitzert wie tausend amerikanische Christbäume. Wie entstehen eure Bilder?

G: Alle in unserem Studio, wir haben den Wald für diese Bilder bei uns zu Hause aufgebaut. Pierre fotografiert, ich bemale sie hinterher mit dem Pinsel. Viele Künstler machen das mittlerweile auf dem Computer, wir niemals. Vielleicht probieren wir das irgendwann auch einmal aus, man weiß nie. Die Kostüme wählen wir vorher gemeinsam aus, machen detaillierte Skizzen und besprechen den Bildausschnitt, die Inszenierung, das Make-up und so weiter.

Gibt es denn dabei niemals Streit?

G: Wir unterhalten uns eigentlich sehr sanft darüber, oder?

P: Meistens sind wir ohnehin der gleichen Meinung, oder wir wollen dasselbe, ohne daß es ausführlich zur Sprache kommt.

Hat ein Model auch Einfluß auf das Bild?

P & G: Ach ja: Das allererste, was bei unseren Bildern feststeht, ist das Model. Wir verbringen meist den ganzen Tag zusammen. Wir trinken gemeinsam Kaffee, essen und unterhalten uns stundenlang. Und dabei erklären sie auch oft ihre Vorstellung von ihrem Porträt. Nina Hagen zum Beispiel hatte die Idee, sich als indische Göttin Kali fotografieren zu lassen.

Was für eine Beziehung habt ihr zu Nina Hagen?

P & G: Eine intime Freundschaft. Wir haben schon oft mit ihr gearbeitet: Zusammen mit ihr, Frank Chevalier und ihrem Kind ist auch die „Heilige Familie“ entstanden. Nina hat neulich geschrieben, sie liebe uns wie ihre „platonischen Ehemänner“.

Ihr seid beide katholisch aufgewachsen. Wo spürt man das in euren Bildern?

G: Das Christentum hat mir viel gegeben, als Kind war ich sogar Meßdiener. Ich habe mich sogar gern mit den Geschichten aus der Bibel beschäftigt. Und heute findet

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man in manchen Bildern schon etwas wieder: die ganzen Heiligenporträts oder eben Kylie Minogue als australische Marie MacKillop im Kostüm einer Nonne.

Es gibt genügend Leute, die sich an euren Bildern stoßen: Der „Petit Jardiner“, der hemmungslos im Garten sein Geschäft verrichtet, wird bei eurer Retrospektive in Paris fehlen.

P: Ich finde, unsere Bilder sind alles andere als schockierend.

G: Vielleicht sind gerade Nacktheit oder Erotik typisch für homosexuelle Kunst: Der Körper ist viel präsenter als bei anderen Künstlern. Übrigens auch, wenn Frauen gezeigt werden.

Wenn es aber selbst in Paris Probleme mit euren Bildern gibt, wo werdet ihr richtig angenommen?

P & G: Die Japaner können unsere Kunst sehr gut nachvollziehen. Warum ...? Das ist schwierig zu erklären, es ist so ein Gefühl. Vielleicht liegt es daran, daß die Japaner ein besonders ausgeprägtes Gespür haben für unsere sanfte Zärtlichkeit, daß auch sie Bilder ohne Gewalt mögen.

Gewalt gibt es ja sehr wohl bei Pierre und Gilles. Nur quillt aus den Wunden eurer Models roter Glitter.

P & G: Das ist ja das Schöne – wir haben uns unser eigenes Universum geschaffen. Nicht nur in unseren Bildern, auch in unserem Studio, wo wir leben. Aber das ist ganz normal: Auf irgendeine Weise schafft sich jeder seine eigene Welt. Interview: René Aguigah

Pierre et Gilles: bis 1. September täglich 12–18 Uhr in der ACC Galerie, Burgplatz 1–2, Weimar, Katalog 132 Seiten, 38 DM

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