■ Querspalte: Keinen blauen Dunst
Raucher haben es schwer: Vor zwei Wochen verurteilte ein Gericht in Florida den Konzern American Tobacco zur Zahlung von 1,1 Millionen Mark an einen an Lungenkrebs erkrankten Raucher. Begründung: Wider besseres Wissen hätten die Tabakkonzerne verheimlicht, daß Nikotin abhängig mache, und in ihrer Werbung die gesundheitlichen Folgen des Rauchens verschwiegen. Bill Clinton verordnete neulich, daß Nikotin offiziell eine Droge sei. Eine Staatsangelegenheit also.
Als pauperisierter Mittelstandsraucher mit Hang zum finanziellen Desaster überlegt man sich dann, ob eine Ungesetzlichkeit in Sachen Zigaretten nun ein Drogendelikt wäre, das wie bei allen anderen Drogendelinquenten in Amerika den Verlust der Sozialhilfe auf Lebenszeit bedeuten würde. Oder ruft empört: „Meine Lunge gehört mir!“, fragt rhetorisch, wann Automobil- und Waffenproduzenten dazu gezwungen werden, ihre Produkte mit dem Hinweis zu versehen, daß der Gebrauch möglicherweise gesundheitsschädlich sein könnte.
Viele Amis haben schon jetzt Tag für Tag nichts Besseres zu tun, als sich immer ängstlicher, depressiver und paranoider nur noch um ihren Körper zu kümmern. Davon lebt eine imposante Gesundheitsindustrie, die in den USA 10 Millionen Menschen beschäftigt und in die ein Zehntel des Bruttosozialprodukts fließt (1990 ca. 12 Prozent). Auch in Deutschland beginnt dieser Schwachsinn überhandzunehmen: „91 Prozent aller Deutschen sind mit ihren Körpern unzufrieden und möchten einen oder mehrere Aspekte verändern“, hieß es neulich in der Zeitschrift fit for fun, die davon lebt.
Der amerikanische Schriftsteller Thomas Pynchon hatte übrigens schon vor ungefähr zehn Jahren in „Vineland“ prophezeit, daß man sich in dem Land, in dem das Streben nach individuellem Glück bewundernswerterweise Verfassungsrang hat (und dessen GIs das Heroin nach Deutschland brachten), irgendwann sicher auch polizeilicherseits um den „Mißbrauch“ von Zucker, Cholesterin usw. kümmern wird. Detlef Kuhlbrodt
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