piwik no script img

Tage des Schwammdrüber

Dutschke tot, Springer tot, Kommunismus tot: Allerhand passiert in 50 Jahren Springer Verlag, wie ein Geburtstags-Magazin dokumentiert  ■ Von Lutz Meier

„50 Jahre Springer Verlag – Sie können stolz sein auf diesen Geburtstag.“ (Helmut Kohl in seinem Grußwort).

Der Brustumfang fehlt. 46-96 heißt das Ding, und wir denken gleich: Wespentaille, solide Hüfte. Aber was ist mit dem Busen, wovon doch, um jetzt mal zum Thema zu kommen, im versoßten Grobraster der Bild-Zeitung immer jede Menge zu sehen war.

Busen und Antikommunismus, die Tage sind vorbei, und der Springer Verlag müht sich heute, wo Leo Kirch das Ruder dreht, ein ganz normaler, Geld verdienender Großverlag zu sein und macht so nette Sachen wie Allegra. Und demnächst gibt's Computer-Bild. Bild und Computer, man stelle sich das vor! Das nennt man Markendiversifikation, so wie bei Nivea.

Nun wird Springer 50, und weil bei Springer alles mindestens genauso schnell, schön und dick und kompliziert geworden ist wie im Nachkriegsdeutschland, hat man Pepe Boenisch und ein paar hauseigene Redaktionen knappe 400 Seiten zusammenstoppeln lassen, wo genau dieses drin steht. „Das waren Zeiten“, ja.

400 Seiten übrigens, von denen sich Bundesbehörden gleich vier für ganzseitige Anzeigen gekauft haben. Auch eine Art Erinnerungsstütze: Anfang der Achtziger, als Boenisch gerade mal nicht bei Springer, sondern Kohls Regierungssprecher war, verteilte das Presse- und Informationsamt der Regierung seinen Etat munter für parteinahe Zwecke unter der regierungsnahen Presse. Das waren Zeiten. Der Medienmensch, overnewsed und underinformed, wie es bei Springers heißt, läßt sich zu gerne immer und immer wieder die abgegessenen Kollektivmythen aufwärmen, wie zur Sicherheit, daß er mit der Gegenwart nicht allein ist. Und zum Zeichen, daß früher zwar nicht alles besser war, aber heute auch alles schlimmer ist.

Mythenwelten wie der Springer-Kosmos fangen praktischerweise 1946 an, da sind die Karten klar verteilt. Was ist also passiert? „Fast alles wurde teurer.“ – „Glücksspiel explodierte.“ – „Der Tod der Tugenden und Tabus: zwölfmal mehr Ungläubige, viermal mehr Verbrechen“ (wobei Nichtchristen, streng fundamentalistisch, als ungläubig zählen). Irgendwann kam 68, und „Gewalt gegen Sachen wird schick“. Rudi Dutschke ist tot, was aber mit Springer nichts zu tun hat. Und „so ist es heute: Ein Unbekannter droht mit einem Colt“, „Entführer bedrohen die Reichen“, „Banditen killen und rauben“, wobei man das Reemtsma-Foto, das Bild-Reporter aus Polizeifluren rausgehehlt haben, praktischerweise gleich noch mal bringt. Doch Jubiläen sind Tage des Schwammdrüber.

Brandt in Warschau war eine große Geste und Dutschke, naja, fast sowas wie ein Held. Sie alle, Dutschke, Axel Cäsar und der Kommunismus, sind irgendwie „gestorben und unvergessen“. Bei Springer ist man kampfesmüde, Springer will Frieden, ob Kommunismus, ob Kelly Family, schön ist's, wenn viele feiern: „Was Nationalsozialisten und Kommunisten vergeblich versuchten, gelang der Musik“, steht am Konzertfoto der Kellys.

Altersweise schreibt Vorstandschef Jürgen Richter über die Zeiten: „Alte Ängste versanken, neue Gefahren tauchten auf.“ Ein Mann fehlt, den Axel Springer selbst einen „Kriminellen“ genannt haben soll: In Rubriken wie „Verbrechen“ und „Medien“, auch in der Verlagsgeschichte – kein Wort von Leo Kirch. Viele Tränen, aber nicht die von Friede Springer, als der Aktien-Coup des TV-Moguls offenbar wurde. Wie weit ihn seine unfreundliche Übernahmetätigkeit beim Springer Verlag genau gebracht hat, weiß man bis heute nicht. Schmierige Nachnachrufe auf den toten Verlagsgründer aber dürfen nicht fehlen.

Schön sind die Anzeigen: rechts Dieter Degowski in Gladbeck, links der Versicherungskonzern von Gerling, auch so ein alter Recke: „Sicher mit Gerling. Weltweit“. Rechts „Gewalt kennt keine Gnade“, links der Spiegel, in altersmüder Pfiffigkeit: „Seit 50 Jahren ungeschlagen“, mit schwarzem Schachpferd (=Springer, haha). Und allerlei Papierlieferanten zeigen die schönen skandinavischen Wälder, die für Bilds Busen dran glauben müssen. Eine Regenwaldabholzungsstatistik („Der Mensch will retten, was er zerstört“) und ein Lob der deutschen Wirtschaft: „Im argentinischen Urwald fällen deutsche Stihl-Sägen die Bäume.“ Alles findet hier seinen Platz und seine Ruhe. Oh, gute, böse, schillernde, schwierige Springer-Welt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen