Makabre Zwangsversöhnung

Franjo Tudjman will die Gebeine politischer Gegner gemeinsam beerdigen – als Mahnmal  ■ Von Marinko Culić

Der kroatische Präsident Franjo Tudjman plant, die Knochen von Tätern und Opfern des Zweiten Weltkriegs in einem „gemeinsamen Mahnmal“ zusammenzubringen – ausgerechnet auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Jasenovac. Für ihre Kritik an diesem neusten „Symbol der Versöhnung“ wurden Marinko Culić und der Herausgeber der kroatischen Tageszeitung Feral Tribune wegen „Diffamierung des Präsidenten“ angeklagt. Gerichtstermin ist der 25. September.

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Warum hat Franjo Tudjman ausgerechnet diesen Zeitpunkt für seine „neue Offensive der Versöhnung“ gewählt? Denn genau das ist es, was eine Repatriierung der Gebeine von Tito (zur Zeit in Belgrad), Ante Pavelić (während des Zweiten Weltkriegs Pro-Nazi-Anführer des „Unabhängigen Staates Kroatiens“ und 1959 in Madrid gestorben), Vlatko Macek (kroatischer Politiker, der sich 1941 dem faschistischen Kroatien verweigerte) und Busić (exilierter kroatischer Nationalist, 1969 in Paris vom jugoslawischen Geheimdienst ermordet) letztlich bedeutet.

Und warum will er ausgerechnet das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Jasenovac, in dem während des Zweiten Weltkriegs zwischen 100.000 und 150.000 Serben, Roma, Juden und kroatische Partisanen ermordet wurden, zu einem Mahnmal für alle Opfer machen – trotz der Mahnung jüdischer und offizieller amerikanischer Kreise, „die Geschichte nicht mit der Schaufel umzuschreiben“, trotz der Aufrufe von Kroaten, davon Abstand zu nehmen, „bevor es zu spät ist“?

Um dieser „Offensive“ auf den Grund zu kommen, muß man sich an Tudjmans Analyse der Zagreb- Krise erinnern: Nur ein Stoppen der „siebenköpfigen Koalition“, deren Ziel der „Sturz der einzig demokratisch gewählten Regierung Kroatiens“ sei, könne die Wiederholung dessen verhindern, was sich mit Namen wie Wiener Neustadt, Bleiburg und Jasenovac verbindet.

Da es aber sinnlos ist, über die Versöhnung der Toten zu spekulieren, solange sich die Lebenden – Regierung und Opposition – in zwei unversöhnlichen Lagern gegenüberstehen, bleibt dem kroatischen Führer nichts anderes übrig, als „Versöhnung“ in sein parteipolitisches Programm aufzunehmen.

Tudjman ist unfähig, die Ursachen für seine politische Sackgasse zu verstehen oder einen Ausweg daraus zu finden. Auch deshalb ist er immer wieder überrascht, daß keine der Oppositionsparteien mit seiner HDZ (Kroatisch-Demokratische Gemeinschaft) eine Koalition eingehen will – wo doch überall sonst in der Welt eine 35-Prozent-Partei keine Probleme hat, einen Koalitionspartner für die Regierung zu finden. Da ist etwas Wahres dran, aber er versteht offenbar nicht, daß überall sonst in der Welt die an der Macht befindliche Partei sich ihre eigene Verantwortung bewußtmachen würde, bevor sie Rundumschläge austeilt.

Dazu ist Tudjman politisch und persönlich unfähig, weshalb er auf einer „Versöhnung“ im Stile Francos besteht, statt nach einer für alle akzeptablen Versöhnung im Stile Adenauers zu suchen. Sein ausdrücklicher Hinweis auf Franco bestätigt nur seine politische Blindheit: Warum sollten, wenn die Spanier gut ohne ihren faschistischen Diktator zurechtkommen, Kroaten so einen brauchen? Und er zeigt auch seine historische Blindheit, das heißt seine Ignoranz fundamentaler historischer Tatsachen. Francos Kreuz der Versöhnung mit der Aufschrift „Sie sind unter uns“ – was fatal an das Ustascha-Motto „Sie sind mit uns“ erinnert – vereinte Republikaner und Faschisten in Spanien keineswegs. Die Versöhnung war Folge der demokratischen Transformation.

Will man überhaupt etwas aus Spanien importieren, sollte es die Entfrancoisierung des Landes sein und nicht die Etablierung eines faschistisch-kommunistischen Landes, das von einem janusköpfigen Tudjman geführt wird, halb Tito, halb Pavelić (der, je nach politischer Opportunität, das eine oder andere Gesicht zeigt). Das jedoch scheint der Führer der Kroaten genau im Sinn zu haben: Es würde seine permanenten Angriffe auf die Opposition erklären, die ein wirkliches Beispiel für „Versöhnung“ bieten. In seinen Worten: Die Opposition habe alle bei sich aufgenommen, „vom Kommunisten bis zum Faschisten“.

Warum Tudjman die toten Väter miteinander versöhnen darf, die Opposition dasselbe jedoch nicht mit den Söhnen tun soll, bleibt unklar. Zudem sind seine Anschuldigungen reine Erfindung: Selbst der Präsident müßte sehen können, daß die Mitglieder der Opposition weder größere Kommunisten noch Faschisten sind als er selbst. In Wahrheit fürchtet er einfach Oppositionsführer wie Tomac, die den Versöhnungsgedanken wirklich akzeptiert haben.

Die Hinweise darauf, daß andere mit dem Versöhnen sehr viel erfolgreicher waren als er, hat Tudjman dazu getrieben, für die Versöhnungsversion seiner eigenen Partei dadurch zu werben, daß er die sterblichen Überreste von Tito und Pavelić nach Kroatien zurückholt und sie Seite an Seite mit ihren toten Armeen und Anhängern in Jasenovac beerdigt. Selbst wenn das einzig Problematische wäre, daß sich dort die Gebeine der Opfer mit denen ihrer Mörder mischen müßten, wäre das schon obszön genug. Aber es ist noch viel schlimmer. Tudjman hält sein „neues“ Jasenovac für eine „Erinnerung des kroatischen Volkes daran, was es in der Vergangenheit einmal gespalten und in einen Bruderkrieg geführt hat“.

Nichtkroatische Opfer werden nicht einmal erwähnt: Das Beinhaus vieler Nationen soll ein Instrument nationaler Versöhnung zwischen Kroaten werden. Tudjman akzeptiert weder noch billigt er die wahre Bedeutung internationaler Versöhnung, wie sie Willy Brandt mit seinem Kniefall vor dem Denkmal für die Toten des Warschauer Ghettos symbolisiert.

Dieser Versöhnungsalptraum, in den Tudjman seine „Untertanen“ treibt, hat nur ein Resultat: Je lauter das Versöhnungsgerede, desto tiefer werden die Gräben zwischen den angeblichen Partnern. Wenn Tudjman auch nicht die ganze Schuld am Streit zwischen Kroaten und Serben trifft, ist er doch allein verantwortlich für den Konflikt unter den Kroaten.

Marinko Culić ist Autor der Feral Tribune; der Text erschien dort am 4. April 1996; siehe auch den Beitrag von Romana Dobnikar- Seruga auf diesen Seiten.