■ Nachschlag: "Blöff" nach Edward Albee von und mit Ulrike S. im Cafe Schalotte
Die Wände sind OP-Kittel-Grün, und überm Sofa hängt statt des röhrenden Hirsches eine schlechte Francis-Bacon-Imitation mit frisch geschlachteter Sau. Der erste Blick auf die Bühnenausstattung verrät gleich, worum es in den folgenden 70 Minuten gehen wird: um den sezierenden Blick in die Ehekrisen und Psychokiste eines Schlachthausbesitzerpaares (West) und eines aufsteigenden Pärchens (Ost). Kinderleichen haben beide im Keller, die einen eine ziemlich unfeine Abtreibung, die anderen einen schwulen Sohn, der auf der Aidsstation dahinkrepiert.
Von Mutterliebe ist allerdings nicht viel zu spüren: „Weinen und spenden soll man für diesen Abschaum!“ Zwei Ehepaare lassen die Scham und gute Erziehung fallen und entblößen zu guter Letzt ihre Lebenslügen. Es wird viel gekotzt und noch mehr aus der gut sortierten Hausbar gesoffen und hin und wieder auch gesungen. Mal wird „Go West“ der Pet Shop Boys zum Kampfruf der „Ostbrut mit Broilerlächeln“ zur Eroberung des kapitalistischen Westdeutschlands, mal „House of the Rising Sun“ zur Moritat einer Schlachthaustochter.
Ulrike S., unverwechselbares Original in zahlreichen Lothar- Lambert-Filmen hat sich „Blöff“ auf den Leib geschrieben. Edward Albees „Wer hat Angst vor Virgina Woolf...?“ diente als Ausgangsidee für dieses Ost-West-Ehedramolett. Eine Spießerfarce aus dem wiedervereinten Berlin, ein Blick hinter die Gardinen Wilmersdorfer Eigentumswohnungen. Manchmal ging beim Schreiben offensichtlich die kabarettistische Ader mit ihr durch. Dann verzappelt sie sich in wilden Pointen, die sich, gespielt, gegenseitig erschlagen. Andere Pointen sind einfach keine oder versanden, weil vor allem die beiden männlichen Akteure (Jörg Folta-Schwanbeck und Dirk Eggestein) schauspielerisch überfordert sind.
Wenn allerdings Ulrike S. herself als abgewrackte Liz-Taylor-Kopie im kniefreien schwarzen Abendkleidchen mit zauseliger Frisur an der Whiskyflasche nuckelt und ziemlich unfein ihren laschen Gatten mit Fiesheiten unter der Gürtellinie attackiert, kommt die ganze Geschichte in Fahrt. Eine Furie im Schöner Wohnen-Idyll. Und dann ist da noch Petra Krause (vom Tuntenensemble „Head Attack“), die als blondes Dummerchen über die Bühne stöckelt und auf dem Barhocker so manches Mal mit der Contenance auch die Balance verliert. Bei ihr funktioniert das Changieren zwischen ernsthaftem Psychodrama, ironischem Selbstkommentar und heller Groteske bestens.
Derweil schaukeln zwei sprechende Plüschpapageien überm Klavier, von Plastikefeu idyllisch umrahmt. Artig und friedlich und gerade so, als ob der Krieg der Geschlechter mit ihnen gar nichts zu tun hätte. Axel Schock
Bis 31.8., 20.30 Uhr, Café-Theater Schalotte, Behaimstraße 22. Heute ist Theatertag: Eintritt 15 Mark, sonst 24 (20) Mark
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