: Cancan in der Mülltonne
■ Zwölf lange Tage Lachen im und um das Chamäleon herum: Gestern begann das 1. Berliner Varieté- und Comedy-Festival
Womit jonglieren afrikanische Künstler, wie sieht der Humor eines kanadischen Kabarettisten aus, welche Tricks zaubert ein ukrainischer Magier aus seinem Hut und: Was für eine Figur macht eigentlich das Berliner Varieté im internationalen Vergleich?
In einem Humor- und Artistik- Marathon mit Künstlern aus aller Welt will das 1. Berliner Varieté- und Comedy-Festival darauf während der nächsten zwölf Tage im und um das Chamäleon am Hackeschen Markt Antworten geben. Und um die letzte Frage gleich vorwegzunehmen: Das hiesige Varieté, insbesondere seine blühende Subkultur, die in ihrem Hang zu einfachen, aber witzigen Bühneneinfällen (wie dem im Chamäleon schon traditionellen Kleinst-Zugaben-Finale bei halbgeöffnetem Vorhang) glücklicherweise nichts mit der glanzvoll-gelangweilten Perfektion eines Wintergartens am Hut hat, kann und muß sich an internationalen Maßstäben messen.
Hacki Ginda, Haus-Clown und künstlerischer Leiter des Chamäleons sowie Initiator und Kopf der eigens gegründeten Festival- GmbH, zeigt mit seiner Initiative, daß die Künstler dies auch wollen: Mehr als die Hälfte der 114 Festival-Formationen sind Gruppen und Solodarsteller aus Berlin. Die ausländischen Kollegen stammen aus Frankreich, Kenia, Holland, Kolumbien, der Schweiz, den USA oder Tschechien.
„Viele haben die Einladung nach Berlin nur aufgrund ihres persönlichen Kontakts zu Hacki angenommen“, betonte Festival-Sprecherin Jana Galinowski. Bei Gastspielen im Ausland habe er Artisten verschiedener Genres – so etwa die aus Straßenkünstlern, Musikanten und Schauspielern zusammengesetzte französische Artisten-Truppe „Les oiseaux fous“ oder die „Zirkusschule Kiew“ – angesprochen und für seine langgehegte Idee eines „grenzenlosen Comedy-Meetings“ begeistert.
Als Mitstreiter hat sich der auf der Bühne stets befrackte und in karnevalistischer Manier Konfetti und Achselhaare an das Publikum verteilende Mime Berliner Künstler an seine Seite geholt: Einer von ihnen ist der Kabarettist Uwe Woitas, Conférencier zahlreicher Festival-Abende. Als Autor eigener pointenreicher Bühnentexte muß er nicht aus dem schier unerschöpflichen 20er-Jahre-Fundus schöpfen, dessen Couplets und Lieder leicht modernisiert oder parodiert weniger produktiven Darstellern auch heute noch Lachsalven und rauschenden Applaus bescheren. Wo andere Ansager ihren Kollegen stotternd Platz machen oder – noch schlimmer – die eigene Unsicherheit und Unüberlegtheit auf der Bühne zur Kunstform des Moderierens erklären, wirft Woitas bei seinen Streifzügen durch das Publikum den Zuschauern rasant und gebärdenreich vorgebrachte Wortspielereien vor die Füße.
Gute Conférenciers sind eben Mangelware, wie das Beispiel des letzthin erstaunlich hochgehandelten Comedy-Paares Sanjay und Svenja Shihorra zeigt: In ihren Nummern (wie einem vierbeinig in der Mülltonne getanzten Cancan) ausgesprochen wirkungsvoll, bleiben ihre Moderationen witzlos und unsicher.
Hoffnungsvolle Kunstfertigkeit bietet eine junge Berliner Antipodistin mit dem passenden Namen Antje Pode: Als mit Koffern beladene Reisende wirbelt sie im Liegen sämtliche Gepäckstücke gleichzeitig mit Beinen, Armen, Knien und Füßen kunstvoll durch die Luft – technische Raffinesse verbindet sich hier mit einer Geschichte, bei der die Jonglier-Requisiten eine wesentliche Rolle spielen.
Mit von der Partie ist auch das Berliner Raumschiff-Enterprise- Trio, das durch seine Adaption der „Unendlichen Weiten“ längst beträchtlichen Kultstatus erlangt hat: Komponist und Pianist Benedikt Eichhorn sowie die Komiker und Sänger Michael Sens und Mario Eckardt von der Kabarettbühne „Schlot“ packen die Serien-Generation am Schlafittchen und ziehen qualitativ wertvoll kalauernd durch die Science-fiction-Welt der 70er Jahre, wobei sie auch durch ihre authentisch-engen Strickpullover überzeugen.
In der Bühnenlandschaft in Mitte, wo sich die Berliner Kleinkunst im Schatten der großen Opern- und Schauspielhäuser bisher hauptsächlich selbst beklatscht und die ehemalige Off-Bühne Chamäleon sich im Gegensatz dazu fast zu sehr als Touristenattraktion durchgesetzt hat, bietet das Festival die Möglichkeit, über den eigenen Bühnenrand hinauszusehen. Auf fünf Bühnen und in zwei Zelten heißt das Motto: „16 Stunden lachen und 8 Stunden schlafen“.
Und wer weiß, vielleicht kann das imposante Programm mit rund 15 Show-Angeboten pro Tag der Varieté- und Off-Szene als Energiespritze dienen. Denn nach dem fulminanten Start des Chamäleons vor fünf Jahren hat sich das Theater zwar bundesweit seinen Ruf erobert und glänzt nach wie vor durch ideenreichere und unkonventionellere Inszenierungen als andere Häuser, aber die kreative Erneuerung ist auch hier einer gewissen Behäbigkeit gewichen.
War es anfangs noch eine Offenbarung, wenn mit Küchengeräten statt mit Keulen jongliert wurde, wenn ein Sponti-Ensemble jede Nummer mit einer humorvollen Story zu verknüpfen wußte, so muß dieses Prinzip doch von Show zu Show neu erfunden werden. Denn schließlich, so Uwe Woitas: „Comedy ist keine Sekundärtugend.“ Ulrike Heesch
Bis 10.9. an sieben Spielorten und „Open Stage“ in den Hackeschen Höfen, Rosenthaler Str. 42.
Karten zwischen 18 und 25 Mark unter 2835532 und 53436363.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen