: Für unbegrenzte Zeit in die Psychiatrie
■ Mutter, die fünfjährige Tochter im Wahn tötete, muß in den Maßregelvollzug
Der psychiatrische Gutachter hatte sich für Bewährung ausgesprochen, der Staatsanwalt dagegen. Doch Justitia ging kein Wagnis ein: Die 35jährige Tischlerin Hannnelore S. wurde gestern vom Landgericht zu einem zeitlich unbefristeten Zwangsaufenthalt im Maßregelvollzug der Psychiatrie Buch verurteilt. Die an einer Psychose leidende Frau hatte ihre fünfjährige Tochter im Wahn getötet. Im Glauben, das Kind sei vom Bösen besessen, hatte sie der Tochter in der Nacht zum 20. Dezember 1995 tief in den Hals gegriffen, um den Dämon herauszuziehen. Dabei war das Mädchen erstickt (die taz berichtete).
Das tragische Geschehen hatte sich im Beisein des Ehemanns Martin S. abgespielt, der nicht wußte, daß seine Frau seit kurzem an einer Psychose litt. Er hatte deshalb nicht die tödliche Gefahr für das Kind erkannt. „Ich war wie gelähmt“, sagte der 35jährige Ingenieur als Zeuge. Das Ehepaar S. hat noch eine zweijährige Tochter. Der Mann hält fest zu seiner Frau. Aber die Hoffnung, daß Hannelore S. in absehbarer Zeit wieder nach Hause kann, machte das Gericht gestern mit seinem Urteil zunichte. Dabei hatte der psychiatrische Sachverständige Karl Kreuzberg betont, daß bei der Angeklagten eine deutliche „Krankheitseinsicht“ vorliege und sie sich sehr intensiv mit dem Geschehen auseinandersetze. Die zierliche Frau sei sehr suizidgefährdet gewesen, als sie realisierte, was sie getan hat. Sie sei eine sehr intelligente, differenziert denkende, kooperative Patientin, sagte der Leiter der Psychiatrie in Buch. Für die psychische Stabilität der Frau sei es wichtig, daß sie bald wieder als Tischlerin arbeiten und den Kontakt zu Mann und Kind intensivieren könne. Dies sei am besten möglich, wenn sie in die Psychiatrie Spandau verlegt werde, weil ihre Familie in der Nähe wohne. Hannelore S. müsse noch mindestens sechs Monate stationär behandelt werden und zwei Jahre Psychopharmaka einnehmen.
Nach der Heilungsprognose befragt, sagte Kreuzberg: Die Gefahr der Wiederholung sei nicht auszuschließen. „Jeder Mensch ist psychosefähig. Es ist nur eine Frage der Belastung, ob und wann er von einem solchen Zustand ergriffen wird.“ Ein Drittel der so Erkrankten gesunde danach wieder vollkommen. Hannelore S. bat das Gericht, ihrer zweiten Tochter bald wieder eine richtige Mutter sein zu dürfen. „Ich liebe meine Kinder sehr. Der Schmerz und die Trauer sind riesengroß, daß ich kaum damit leben kann.“ Das Gericht fand jedoch, daß noch zu wenig Zeit seit der Tat verstrichen sei. „Bequemlichkeit“ sei kein Argument, sagte der Vorsitzende Richter Hüller. Damit meinte er die Bitte der Angeklagten, von Buch nach Spandau verlegt zu werden. Plutonia Plarre
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