: Stichwort: Demenz
Ist Opa bloß „wunderlich“, oder ist er dement? Unter Demenz versteht man andauerndes „verrücktes“ Verhalten, das über die normale vorübergehende Verwirrtheit im Alter hinausgeht. In Deutschland leben insgesamt 800.000 demenzkranke Menschen. Diese Krankheit ist die Hauptursache von Pflegebedürftigkeit alter Menschen. Von den 65jährigen leiden nur fünf Prozent daran, doch von über 80jährigen trifft es bereits jeden vierten und ab 90 jeden dritten.
Die Betroffenen verlieren zunehmend ihre Orientierung und ihr Denkvermögen. Parallel verfällt ihre Hirnsubstanz. Man unterscheidet Demenz aufgrund von Arteriosklerose (die landläufig Verkalkung genannt wird und unter anderem zu Schlaganfällen führen kann) und Demenz infolge der Alzheimerschen Krankheit.
Naomi Feil ersetzt den Begriff „dement“ durch „desorientiert“, denn die wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen „de mentis“ heißt „ohne Geist“, und das sind ihre Patienten für sie nicht. Die deutsche Validationsexpertin Nicole Richard beschreibt den mentalen Zerfallsprozeß so: Erst können sie sich gegenwartsbezogene Daten zunehmend schlechter einprägen. In der nächsten Phase wird ihr Gedächtnis, das ähnlich wie ein über die Jahre mit Ordnern bestücktes Regal organisiert ist, immer lückenhafter und gerät in Unordnung: Es wird zu einer „Loseblatt-Sammlung, deren Inhalte kaum oder wenig Bezug zueinander haben“. Ihre Verwirrtheit macht die Dementen aggressiv oder depressiv; häufig sind sie Bettnässer; sie laufen oft weg; erkennen sie nichts oder niemanden mehr, sind sie so desorientiert, daß sie ihren Zimmergenossen mit der Toilette verwechseln können.
Naomi Feil teilt das Fortschreiten der Krankheit in vier Stadien ein: auf anfängliche „unglückliche oder mangelhafte Orientierung“ infolge zunehmender Zeitverwirrtheit, dann treten „sich wiederholende automatische Bewegungen“ an die Stelle verbaler Kommunikation; schließlich „vegetiert“ der Patient ohne Bezug zur Außenwelt vor sich hin. Auf jeder der vier mentalen Verfallsstufen können die Patienten durch Validationstherapien stabilisiert werden.
Ermutigender Ansatzpunkt für Naomi Feils verhal- tenstherapeutische Arbeit ist, daß der Abbau des Hirns offensichtlich nicht zwangsläufig zu Verwirrung führen. Physiologische Untersuchungen haben gezeigt, daß Patienten mit großflächigen „Plaques“ (Regionen degenerierter Nervenzellen) und „neurofibrillären Bündeln“ (die von Alzheimer 1906 erstmals beschriebenen Verklumpungen in einer Nervenzelle) geistig völlig fit sein können. Umgekehrt gibt es hochgradig Verwirrte ohne jeden organischen Befund. Der soziale Faktor kann also eine erhebliche Rolle spielen.
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