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LidokinoHandfeuerwaffen, willkürlich eingesetzt

■ Auf- und Ausbrüche: De Niro als Mönch, „Hello“ aus Taiwan, Beatniks am Rande

Vor der Sala Volpi, wo außerordentlich junge Menschen darauf warteten, in die „Retrospettiva Beat“ eingelassen zu werden, stand in der Nachtvorstellung auch ein junger Ire, der hier in einem Zelt wohnt. Verschmitzt grinsend wies er auf seine auseinanderfallenden Schuhe – ob das wohl Beat genug sei, daß man ihn einlasse? Er lebt in London, wo er dichtet, irischen Folk spielt und eine Art Dissertation über Beatpoeten schreibt. Einmal hat er Allen Ginsberg weich die Hand geschüttelt. Nur für Beat ist er in Venedig. Erfahrungshunger!

Im Kino herrscht eine gewisse Verschwörungsatmosphäre; schließlich haben wir zwei Wettbewerbsfilme sausen lassen, um Christopher Mac Laines „The End“ (1953), Stan Brakhages „Desistfilm“ (1954), Frank Paines „Motion Pictures“ (1956) und „Anticipation of the Night“ (1956, ebenfalls Brakhage) zu sehen. Von der Pop-art aus gesehen müssen sich solche Filme wie eine Wiederauferstehung des 19. Jahrhunderts ausgenommen haben: Doppelgängermotive, Nachtwanderungen, einsames Treppauf-Treppab, Sehnsucht nach der Kindheit der Menschheit und wieder und wieder große Handfeuerwaffen, willkürlich eingesetzt. Ekel vor der Warenwelt.

Robert De Niro, der gemeinsam mit seinem Regisseur Barry Levinson, Dustin Hoffman, Vittorio Gassman, Kevin Bacon und den anderen Darstellern von „Sleepers“ vorgestern am Lido eintraf, hat sich inzwischen, wie Bruce Willis, in Richtung Mönch vorgearbeitet: kurzgeschoren und schweigsam saß er auf dem Podium der Pressekonferenz. Einzig als Kollegen vorsichtig vorbrachten, daß in den USA am Wahrheitsgehalt der Geschichte über sexuellen Mißbrauch hinter Gefängnismauern gewisse Zweifel laut geworden waren, kam Leben in die Chose: „Alles ist wahr“, rief De Niro; Hoffman fügte hinzu, amerikanische Gefängnisse seien Schlangennester, und der Film zeige nichts weiter, als daß du bist, was du ißt: „Diese Verhältnisse bringen Gewalt hervor. Und ihr – ich meine nicht Sie persönlich, aber die Medien – multipliziert das noch, und wir, die Gesellschaft, tolerieren es.“ Levinson wiederum behauptete, er habe nur dokumentiert, was halt so vorgehe, wozu schon eine gewisse Unverfrorenheit gehört, zumal wenn man einen Kameramann Ballhaus beschäftigt, dem es auch gar nicht schmecken würde, als Dokumentarist bezeichnet zu werden.

Am Abend dann bildete das große Publikum ein Spalier, das von Flutlicht bestrahlt und von schmucken italienischen Polizisten abgeschirmt war, die auch schon mal eine Träne vergießen, wenn De Niro dann vorbeikommt. Er kam mit seiner Freundin; alle Welt weiß, daß er immer schwarze Freundinnen hat, und er lächelt wie im Film, ein bißchen schüchtern an ihr vorbei, und doch ist es für sie gedacht, und sie weiß es und ach! Dahinter Dustin Hoffman mit einer Frau, der man umstandslos seine Katze zum Wochenende anvertrauen würde, und schließlich Kevin Bacon, der zwar eine sehr blonde Freundin aufzuweisen hatte, aber weniger Applaus bekam, weil er doch im Film der Kinderschänder gewesen war.

Die späten Sixties in einem taiwanischen Dorf: Ein Schuppen wird schnell zum Club, wenn man eine mit Palmen bemalte Attrappenwand davorhängt, auf der steht: „Girls and music, all night“. Die Amerikaner kommen. In der Schule üben die Kinder ein zartes „Hello“ und winken niedlich: „hello, hello“. Der Regisseur des Wettbewerbsbeitrags „Taipeng Tienkuo“, Wu Nien-Jen, hat zwar eine Burleske erfunden, die theoretisch ja überall spielen könnte, transportiert aber genügend Alltagsmaterial, um spezifisch zu bleiben. Was sich zum Beispiel taiwanische Barmädchen unter „Go-go-Girls“ vorstellen, oder wie Armeeübersetzer ihren Job verstehen. Was die Amerikaner an versöhnlichen Tönen anschlagen, übersetzt der Taiwaner als hochherrschaftlichen Wutausbruch und bedroht die verschüchterten Dorfbewohner mit furchtbaren Racheaktionen. Nachts dann: echtes Wetterleuchten aus italienischen Himmeln. Mariam Niroumand

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