piwik no script img

Triumph mit Reality-Zirkus

■ Der Circus Ethiopia gibt nicht nur Entertainment, sondern auch Education

„Das hatten wir nicht erwartet“, freut sich Aweke Emiru. Der 26jährige ist der Regisseur des Circus Ethiopia und hat gerade so etwas wie einen Triumphzug hinter sich. Seit zwei Monaten schon reist seine Truppe durch die Bundesrepublik, und wo sie auch hinkommt, die Resonanz ist riesengroß. „Wir dachten, daß viel weniger Leute kommen würden“, lacht er.

Zu Hause tritt der Zirkus, umsonst und draußen, nicht selten vor 5.000 ZuschauerInnen auf. Doch vor der Europatournee wurden die Erwartungen vorsichtshalber heruntergeschraubt. Und dann gewaltig übertroffen: Bei einem Festival in Frankreich waren es kürzlich sogar fast 10.000 ZuschauerInnen auf einmal, die den 35 jugendlichen ArtistInnen gebannt folgten. Circus Ethiopia, das ist jetzt ein Begriff. Auch in Europa.

Natürlich spielt der Exotik-Bonus eine Rolle: Äthiopien – damit assoziert der durchschnittliche deutsche Medienkonsument schließlich Armut, Hunger, Krieg und Bob Geldof. Und von dort soll ein Zirkus kommen? Was wie ein schlechter Witz klingt, ist in Wirklichkeit das Resultat einer ziemlich guten Idee. Vor fünf Jahren wurde sie geboren. Damals übte der kanadische Lehrer Marc Lachance (!) von der Internationalen Schule in Addis Abeba mit ein paar Kindern ein kleines Unterhaltungsprogramm ein. Das Kleinkunstdebüt zog große Kreise, es entwickelte sich der Zirkus, dem heute im ganzen Land rund 600 Kinder angehören. Neben dem Schulbesuch, der für alle Zirkuskinder Pflicht ist, wird fast täglich für die Auftritte geübt. Und die Zirkusmitglieder der ersten Stunde sind heute schon die Lehrer der nachfolgenden Generation.

Eine wahre Geschichte. Und wie es aussieht, eine mit Happy- End. Denn Zirkusgründer Marc Lachance mag zwar ein Träumer sein, aber bestimmt kein Traumtänzer. Sein Ziel: Der Circus Ethiopia soll sich soweit wie möglich selbst tragen. Und es scheint zu klappen. Schon die Europatour konnte, für die Beteiligten als Non- Profit-Projekt kalkuliert, vollständig durch die Einnahmen abgedeckt werden. Die erzielten Gewinne sollen in den Kauf einer eigenen Trainingshalle in Addis Abeba investiert werden. Des weiteren steht ein Friseurladen auf der Wunschliste, der weiteren Zirkusfamilienmitgliedern eine berufliche Perspektive bieten soll.

Bisher erfährt der Zirkus Unterstützung durch Hilfsorganisationen wie Unicef und das Rote Kreuz. Für deren Aufklärungsarbeit in Äthiopien, etwa über Aids oder Krankheitsverhütung, bietet der populäre Zirkus den idealen Rahmen. Denn die Darsteller des Circus Ethiopia legen auf Education mindestens genausoviel Wert wie auf Entertainment. Sie sind Artisten in der Zirkuskuppel, ratgebend. Das vom Choreographen Aweke Emiru konzipierte Lehrstück heißt darum auch „A Circus Play“ und verbindet Musik, Tanz und Theater locker mit Zirkuselementen wie Jonglage und Akrobatik. Im Zentrum stehen Szenen einer Jugend in Äthiopien, die Rahmenhandlung bildet die Geschichte zweier Brüder, von denen einer sich in ein Mädchen verliebt und deswegen mit deren Bruder Ärger bekommt. Auch Drastisches wie Diebstahl, Vergewaltigung, Mord werden im Reality- Zirkus nicht ausgespart: Nur knapp unter der locker-leichten Oberfläche der Spielhandlung sitzt der Schrecken, der im herkömmlichen Zirkus mit seinen Raubtiernummern und Drahtseilakten mühsam inszeniert wird.

Doch den Artisten ist es vor allem wichtig zu zeigen, daß Äthiopien auch ganz anders ist: voller Kraft, Phantasie und Lebenslust. Der Circus Ethiopia ist eine Demonstration der Selbstbehauptung. Stolz tragen die Artisten ihre traditionellen Kostüme, und das einzig originär äthiopische Instrument auf der Bühne, das Schlagzeug, wird gnädig mit den somalischen Nationalfarben bedeckt.

Verständlicherweise wenig witzig fanden es die Zirkusmitglieder, daß sie in verschiedenen Zeitungen als „Straßenkinder-Ensemble“ dargestellt wurden: Auf Mitleid können sie gut verzichten. Daniel Bax

Heute: Eröffnungsgala (mit Sabine Christiansen), anschließend bis zum 8.September jeweils Mittwoch bis Sonntag in der Ufa-Fabrik Berlin. Danach vom 12. bis 14.September beim Kinderzirkusfestival in Köln

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen