piwik no script img

Im Innern der Hochzeitstorte

■ Ibiza auf dem Weg in die Entertainment-Zukunft: Die klassische Disco ist tot, es lebe der Riesenrave. Urlaubsstimmungen werden zu Popformaten umgeschmolzen. Eine Bilanz

Das muß er sein! Der in diesem Jahr noch ausstehende Sommerhit aus Ibiza. „Uuiih, uuiih, let's all chant“, lassen die Remixer von Gusto den alten Discoklassiker der Michael Zager Band als Housemusic-Track wiederauferstehen. „Your body, my body, everybody work your body...“

Es ist Dienstag morgen gegen elf Uhr, und DJ Alfredo hat sich unter dem Schilfdach des After- hours-Club „Space“ langsam warmgespielt. „Your body, my body...“ Während im Club die letzten harten Technorunden gedreht werden, funktioniert das „Space“- Außengelände in der Einflugschneise des Flughafens als Freilichtmuseum des alten, relaxten Ibiza-Flairs. Die sonnigen Clubsounds und die eigenwilligen Mixversionen des argentinischen „Balearic“-Veteranen Alfredo sind ähnlich pittoresk wie die Publikumsmischung aus Halbwelt, Ravekids, Gauklern, Rasta-Hippies, katalanischen Psychedelia- Selbstdarstellern und versprengten GoldkettchenträgerInnen aus dem Hamburgischen. Wer nicht in den Korbsesseln hängt oder sonst irgendwo eingenickt ist, einigt sich auf den kleinsten gemeinsamen Dancefloor-Nenner. „My body, your body...“

Ibiza 96: One island under a groove

Tanzmusik im Urlaub ist wie alte Hits von Wham zu Silvester oder auf Hochzeitsparties. Man macht sich locker, eventuelle Qualitätsmaßstäbe fliegen über Bord, und irgendwann klappt's auch mit „El Macarena“. Wohl jedeR hat da sein Aha-Erlebnis in griechischen Stranddiscos oder einer Hafenbar auf Sardinien gehabt.

Auf Ibiza ist das anders. Oder besser: Auf Ibiza ist aus diesem Prinzip eine hochgradig ausdifferenzierte Entertainment-Industrie entstanden. Nicht nur flüchtige One-Hit-Wonder für die Dancecharts werden hier gebreakt, auch das phänomenale (Album-)Comeback der Mildpop-Band Everything But The Girl begann – im „Missing“-Remix von Todd Terry – 1995 in Ibiza.

Die optimale Partymischung

Schuld daran sind natürlich die Engländer. Während die Reporterinnen des Stern bei ihrer investigativen Sommerbumsserie weiterhin die Frühachtzigerklischees der Düsseldorfer Angestelltenschickeria durchnudeln („Sex ist Rein- und-Raus, dafür ist die Zeit gerade lang und der Technobeat laut genug“ – in Heft 31/96) und damit sehr treffend die deutsche Sicht der Insel wiedergeben, haben britische Clubs und Veranstalter die alten Strukturen gehörig umgekrempelt. „Noch hinein bis in die Achtziger war das ,Pacha‘ vergleichsweise klein, während ,Amnesia‘ und ,Ku‘ im Grunde aus Open-air- Swimmingpools mit Tischen, Stühlen und gelegentlicher Livemusik bestanden. Doch sie sind gewachsen und gewachsen...“, erinnert sich der katalanische Inselimpresario Isidoro („Isi“) Andaluz Gomez. „Von der Magie dieser Erinnerungen lebt die Insel heute. Es ist pure Nostalgie, und nur wenig ist geblieben. Sicherlich; das Ausgehen ist besser geworden, viel trend- und stilbewußter als in irgendeiner anderen Ferienregion, doch damit drehte sich auch die Kommerzspirale.“ Das ehemalige „Ku“ heißt heute „Privilege“ und faßt je nach Partyformat 6.000 bis 7.000 Leute. Der reguläre Eintritt kostet zwischen 30 und 50 Mark, wobei die Inselinsiderclique natürlich umsonst reinkommt. Andere hübsche Mädchen und Jungs erhalten Bonusflyer oder Freidrinkbons von sogenannten „PRs“, welche die Strände in Diensten der Veranstalter nach der optimalen Partymischung abscannen. Ein Bier kostet 11 Mark, ein Wasser etwa 6 Mark, sechsstellige Abendumsätze bilden somit die Kalkulationsgrundlage. Schließlich wollen Heerscharen von hauseigenen Vortänzern, emsigen Helferlein, Parkwächter und Türsteher bezahlt werden.

Ein monströser, gut 30 Meter hoher Hangar mit Schiebedach umrahmt das zum Megawhirlpool mutierte Ex-„Ku“-Schwimmbecken. Auf der anderen Seite der Hauptstraße zwischen Sant Antoni und Ciutat D'Eivissa, wie Ibiza- Stadt mittlerweile auf katalanisch heißt, liegt inmitten der Prärie das ebenfalls zur mehrstöckigen Discolandschaft ausgebaute „Amnesia“. Das „Kaoos“ am Stadtrand von Sant Antoni hat sich zum Sommer 96 ein ägyptisches Art-déco- Interieur zugelegt, und im ganz in Weiß gehaltenen „Es Paradis“ sieht es aus wie im Innern einer Hochzeitstorte. Hunderte kunstvoll umbaute Tanzflächenquadratmeter warten...

Sant Antoni de Portmany ist ein ehemaliger Fischerort mit einer neuangelegten Promenade und zumeist häßlichen Hotelanlagen. Hier liegt das Hauptquartier der britischen Ibiza-Besatzung. Folgerichtig heißt das zentrale Straßenkarree, wo unter anderem die lauteste Kneipenmusik der Welt läuft, schlicht „Westend“. Fußballtrikots gehören hier zum bevorzugten Dresscode, und verschiedene Biertrinksonderaktionen machen das Besäufnis auch nach der Happy hour zum Happening.

Durchatmen jenseits der Biermonster

Im Gegensatz zu ähnlichen touristischen Ausnahmezonen wie Benidorm oder El Arenal braucht man jedoch nur einige Blocks weiterzugehen, und schon ergibt sich ein völlig anderes Bild. Zwar besteht die Bebauung weiterhin aus achtstöckigen Schlichthotels, doch mit dem berühmten „Café Del Mar“ und dem umtriebigen „Café Mambo“ blicken gleich zwei stilbewußte Szenetreffs auf den Postkartensonnenuntergang. Ein Ort zum Durchatmen und Café-solo- Schlürfen. Der langjährige Haus-DJ José Padilla sorgt derweil mit seiner milden Zwitschermischung aus Ambient, Flamenco und Pat-Metheny-Entdeckungen für eine schlaff-melancholische Stimmung auch auf den vorgelagerten Felsen.

Das englische React-Label hat in diesem Sommer bereits die dritte „Café del Mar“-Compila

Fortsetzung nächste Seite

Fortsetzung

tion-CD mit seiner „Superlative- chillout“-Musik veröffentlicht. Aus Urlaubsstimmungen entstehen Popformate für ein internationales Publikum. Daß nur wenige hundert Meter weiter die Biermonster toben, hat der vielbeschworenen „Atmo“ bislang offenbar nicht geschadet. Im Gegenteil, ohne die New-Age-Anwandlungen wäre der neuerliche Nightclubbing-Boom in Ibiza nie in die Gänge gekommen.

1989/90 kreuzten einzelne DJs aus London oder Manchester ihre mitgebrachten (Acid-)House-Maxis erstmals mit dem vorherrschenden Gute-Laune-Partysound. Die rasch verbreitete Kunde von der besonderen „Magie“ und vom „Summer of Love“-Revival ließ die Buchungszahlen in die Höhe schnellen. Auch für das wenig puristische Dancefloor-Format wurde kurzerhand ein Titel gefunden. Unter „Balearic Beats“ ließ sich fürderhin alles subsumieren, was nach jungbewegter und progressiv- durchgeknallter Urlaubsmusik klang.

Einen ökonomischen Quantensprung nahm dieses merkwürdige Gebilde der europäischen Freizeitgesellschaft allerdings erst mit dem Aufkommen der englischen „Superclubs“: Das „Ministry Of Sound“ in London oder das „Cream“ in Liverpool sind keine Discos im herkömmlichen Sinne mehr, sondern expansive Entertainment-Unternehmen, die neben einem aufwendigen Dancefloor-Betrieb am Heimatstandort auch Plattenlabels und Merchandising aller Art betreiben. Gewohnt, Nightclubbing im großen Stile zu betreiben, hatten sie das Know- how und den finanziellen Background, eine Ibiza-Saison lang für DJs, Acts und eine marketinggerechte Corporate identity zu sorgen. Mittlerweile wetteifern gleich fünf englische Großclubveranstalter und diverse freie Promoter um die Urlaubsmark der Jungurlauber. Anzeigenstrecken in Face, iD, Muzik oder JockeySlut wärmen das Inselerlebnis schon im Frühsommer generalstabsmäßig an. In den sogenannten „Pre-Club- Bars“, wie etwa der „BarM“, wo der Biergarten-DJ in einem Baum thront, laufen groovy Feeling und heavy Kartenvorverkauf für den späteren Discobesuch parallel. Das Ibiza-Sonderheft des Londoner DJ-Magazine listet von Anfang Juli bis Ende August 96 über 100 Sonderveranstaltungen auf und weiß im redaktionellen Teil auch gleich zu berichten, daß die Sättigungsgrenze damit offenbar erreicht ist.

Besonders neue Formate im ibizenkischen Partyzirkus haben es schwer – zudem die britische Dominanz den ursprünglichen internationalen Publikumsmix regelrecht überrollt hat, wie die Erfahrungen der Berliner Macher von „Safari 2002“ zeigen. Beflügelt von Mayday und Love Parade, entwarf Frontpage-Chef Jürgen Laarmann 21 Nächte mit vorzugsweise deutschen DJ-Teams und landete damit bestenfalls einen Achtungserfolg. Zu Sven Väth strömten Mitte Juli immerhin 1.500 Raver ins „Privilege“, doch erst am nächsten Abend, als das mancunische „Manumission“-Team den Brooklyner Starproduzenten Todd Terry auflaufen ließ, wurde die gesamte Clubkapazität mit gut 6.000 Ravern auch wirklich ausgelastet.

Rush-hour nachts um halb fünf an den Auffahrten zum „Privilege“ und „Amnesia“, hupende Taxischlangen, johlende Cabriogangs und tiefergelegte BMWs. Der sommernächtliche Korso läuft auf vollen Touren. Auch an den Discobus-Haltestellen – ein Blechpfahl in finsterer Nacht – herrscht Hochbetrieb. Rund 150 sichtlich abgekämpfte Kids warten auf einen Lift ins Bett oder in den nächsten Club. Mit ihrem einheitlichen Fahrscheinpreis von 250 Peseten (rund 3 Mark) sind die halbstündlich verkehrenden vier Pendelbuslinien die einzige soziale Infrastrukturmaßnahme von Disco zu Disco. Und während der Horizont ganz langsam lila wird, überlegen sich zwei Mädchen, ob die Connection für den freien Eintritt im „Space“ am heutigen Morgen wohl arbeiten würde. Und überhaupt. Wenn es die After-hour dort nicht geben würde, wäre das family feeling wohl endgültig passé.

Der Bus kommt, und die beiden beschließen, sich bis zur „Space“- Öffnungszeit gegen halb sieben durchzuschlagen. Irgendwie wird's schon klappen mit dem Reinkommen. Der Weg bis zur Magie der Insel ist lang geworden im Sommer96.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen