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Ein ungelenkes Balg feiert Geburtstag

Nordrhein-Westfalen feiert seinen fünfzigsten Geburtstag – und fast alle machen mit. Linke, Schwulen- und Vertriebenenverbände schreiten Seit an Seit mit Landesvater Johannes Rau  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Schon das Nummernschild an seinem Dienstmercedes – D-LV... – transportiert die Botschaft: Der Landesvater (LV) kommt! Das ist genau die Rolle, in der sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) nun schon seit fast 20 Jahren gefällt. An diesem Wochenende steht das Stück vom Landesvater gleich dutzendfach auf dem Spielplan, denn „wir in Nordrhein- Westfalen feiern gemeinsam unser NRW-Fest“ (Rau). Eigentlich hatten „wir“ ja schon am 23. August Geburtstag, denn an diesem Tag vor 50 Jahren gebar die britische Militärregierung per „Verordnung Nummer 46“ aus Rheinländern und Westfalen ein zunächst ziemlich ungelenkes Balg. Franz Meyers, CDU-Ministerpräsident von 1958–1966 beklagte noch Anfang der achtziger Jahre in seinen Memoiren, das britische Kunstprodukt NRW habe immer „noch nicht zu sich selbst gefunden“.

Solche Zweifel quälen den 65jährigen Rau nicht. Im Gegenteil, der Landesvater ist des Lobes voll, weil „wir“ uns in den „vergangenen fünfzig Jahren“ alle mächtig angestrengt und „ein ausgeprägtes Landesbewußtsein entwickelt“ haben. Als erster ging der langjährige SPD-Geschäftsführer Bodo Hombach (44) Ende der siebziger Jahre auf die Suche nach dem „Wir-Gefühl“ in NRW. Anstoß war eine Wahlkampfbroschüre der bayerischen CSU mit der Überschrift: „Wir Bayern“. Mit dicken Fragebögen bewehrte Sozialwissenschaftler suchten das Phänomen bei den 18 Millionen NRWlingen. Der Befund fiel niederschmetternd aus: Es mangelte an nahezu allen identitätsstiftenden Zutaten. Keine Landesspeisen, keine Landeshymne, keine Trachten, keine verbindenden Dialekte – nichts. Eine Kampagne „Wir Nordrhein- Westfalen“ verbot sich bei dem ewig währenden Streit zwischen jecken Rheinländern und sturen Westfalen von selbst. Doch zwei Buchstaben wirkten da geradezu friedensstiftend: „Wir in Nordrhein-Westfalen“. Nach Herzenslust dürfen „wir“ uns seither regionalen Stammesfreuden hingeben und bleiben doch immer „Landeskinder“.

Nichts unterstreicht den stürmischen Erfolg des „wir in...“ mehr als die Reden der Düsseldorfer CDU-Oppositionspolitiker. Was einst als Propagandatrick der SPD gegeißelt wurde, taucht inzwischen in fast jeder Rede des CDU-Fraktionschefs Helmut Linssen auf. „Wir in...“ hat sich zum Kummer seines Erfinders längst von der SPD emanzipiert. Da mag Johannes Rau noch so oft seinen getreuen Genossen einreden, „daß wir mehr als andere Parteien die Nordrhein-Westfalen-Partei sind“. In der Wahlkabine zieht die Masche immer weniger. Auch überzeugte Landeskinder wählen nicht mehr automatisch Rot. Der für Rau bittere Verlust der absoluten Mehrheit zeugt davon.

Inzwischen äußert sich der Regierungschef über die rot-grüne Koalition zwar „sehr zufrieden“, aber die Schlagzeilen in der überwiegend konservativen bis reaktionären Landespresse bestimmen die Fundis in beiden Lagern. Sie liefern den Stoff für das fast tägliche Krisengeschrei – angereichert mit Spekulationen über Raus Zukunftspläne. Nur so viel ist sicher: Im Jahr 2000 wird der dann 70jährige nicht noch einmal als Spitzenkandidat in NRW antreten. Eine erneute Bewerbung um den Bundespräsidentenjob – gewählt wird 1999 – hat er dagegen nie ausgeschlossen...

An diesem Wochenende darf der „Bürgerking“ (Die Woche) auf jeden Fall schon mal die präsidialen Wonnen genießen. Denn Hunderttausende werden heute und morgen trotz schlechten Wetters durch Düsseldorf ziehen. Angelockt, unterhalten und informiert von über 13.000 Aktivisten. Und alle machen mit! Der „Bund der Vertriebenen“ ebenso wie die „JungdemokratInnen/Junge Linke“, Schützenvereine oder der „Schwulenverband“. Dessen Sprecher Jörg Feierabend erklärt das so: „Wir wollen zeigen, daß wir in Nordrhein-Westfalen dazugehören und gerade durch die rot-grüne Koalition einiges erreicht haben.“ Alexander Schumacher vom Bund der Vertriebenen beklagt zwar, daß „wir von dieser Regierung überhaupt nicht gefördert werden“, aber er hält die Probleme mit Raus rot-grüner Regierungstruppe immerhin für „nicht unüberwindbar“. Und was treibt linke Jungdemokraten ans Rheinufer? Nun, „wenn NRW feiern will, dann machen wir mit“, sagt Till Harning, „denn da bieten sich doch nette Möglichkeiten für antirassistische Aktionen“.

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