: Tadschiken hängen am Alu
Eine Leichtmetallfabrik ist größter Devisenbringer des armen Landes und zugleich größte Finanzquelle für die Clan-Kämpfe. Nun liegt sie wohl still ■ Von Dietmar Bartz
Prešov (taz) – Ein erneutes Aufflammen des Bürgerkrieges in Tadschikistan soll zur Schließung der Aluminiumfabrik in Turzunzade in der Nähe der Hauptadt Duschanbe geführt haben. Presseberichten zufolge kämpfen zwei zur usbekischen Minderheit gehörende Clans um die Kontrolle der Industriestadt. Ende August soll eine der Fraktionen den Eingang zur Schmelze vermint haben, um die andere Gruppe vom Betreten der Anlage abzuhalten, berichtete die Financial Times.
Ein Sprecher des in Tadschikistan aktiven Internationalen Währungsfonds (IWF) erklärte demgegenüber, von einer Stillegung sei nichts bekannt. Falls jedoch die Presseberichte zutreffen, wäre der wichtigste Devisenbringer des verarmten zentralasiatischen Landes ausgefallen. Aluminiumexporte erbrachten 1995 rund 59 Prozent der tadschikischen Weltmarkteinnahmen; Baumwolle folgt mit nur 32 Prozent.
Durch die Kämpfe und die möglichen Produktionsunterbrechungen ist auch die Umsetzung eines neuen Beistandsabkommens in Höhe von 12,7 Millionen Dollar mit dem IWF gefährdet. Die Vereinbarung zur wirtschaftlichen Stabilisierung des Landes wurde im Mai abgeschlossen und läuft Anfang Dezember aus. Über ein Anschlußabkommen wird verhandelt. In diesem Jahr muß die Regierung dafür das Haushaltsdefizit auf 5,4 Prozent des Bruttosozialproduktes reduzieren. Das will sie durch neue Steuern auf Aluminium und Baumwolle erreichen, die sich auf sechs Prozent des Bruttosozialproduktes belaufen sollen. Doch die Besteuerungsgrundlage ist nun womöglich dahin.
Am Schicksal der Fabrik zeigt sich das Schicksal des Landes. 1990, noch zu Sowjetzeiten, produzierte Turzunzade 450.000 Tonnen Aluminium im Jahr. Bauxit-Lagerstätten fehlen jedoch, und auch für die erste Herstellungsstufe, die Gewinnung der Tonerde (Aluminiumoxid), gibt es im Lande keine Anlagen. Die Verarbeitung beschränkt sich auf die Schmelzelektrolyse. In den vergangenen zwei Jahren erreichte der Output nur mehr 237.000 Tonnen. Der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge soll die Produktion im ersten Halbjahr 1996 noch einmal um 15 Prozent zurückgegangen sein.
Schuld sind zum einen die häufigen Produktionsstillstände infolge unbezahlter Gasrechnungen an Turkmenistan und Usbekistan. Zum anderen ist eine ungewöhnliche Folge der rabiaten Geldverknappungspolitik durch die Regierung und den IWF dafür verantwortlich: Der Wert des Geldes auf Bankkonten und in bar ist nämlich seither nicht mehr identisch. Der Kurs liegt derzeit bei 3:1. Weil Bankguthaben mit einem Abschlag von zwei Dritteln gehandelt werden, fehlen der Schmelze immer wieder die Mittel zum Ankauf der Tonerde. Ende 1994, vor der Währungsreform, hatte der Abschlag sogar 95 Prozent betragen. Wegen der schlechten tadschikischen Zahlungsmoral der letzten Jahre sind überdies Kredite zur Vorfinanzierung der Produktion kaum mehr zu bekommen, und wenn, dann nur mit hohen Risikoprämien.
Nach dem Zusammenbruch der traditionellen Handelsbeziehungen mit Rußland sind in den letzten Jahren die Niederlande zum wichtigsten Außenhandelspartner des Krisenlandes geworden. 60 Prozent der tadschikischen Aluminiumexporte werden über den Hafen Rotterdam, Weltzentrum des Aluminiumhandels, abgewickelt.
Die tadschikische Aluminiumindustrie mußte in den letzten Jahren eine chaotische Außenwirtschaftspolitik überstehen. Zunächst dominierte, Vermächtnis der alten UdSSR, der Tauschhandel, um die Versorgung des Landes sicherzustellen. Im Januar 1994 wurde das Außenwirtschaftsministerium für den gesamten Außenhandel zuständig, Tauschhandel wurde verboten. Ab April durfte die Aluminiumfabrik gegen Gas und Treibstoff und Getreide selbständig exportieren. Im Dezember 94 verstaatlichte die Regierung den Aluminiumhandel erneut, senkte aber im Mai 95 den Staatsanteil auf 20 Prozent und hob ihn zum Jahresende ganz auf. Dafür wurde das System der Ausfuhrzölle innerhalb weniger Monate dreimal verändert. Seit 1. März 1996 hat sich der Staat ganz aus den Alu-Geschäften zurückgezogen.
Grund für das Hin und Her ist der Versuch der Regierung, den Außenhandel ohne Devisen abzuwickeln – nicht nur, weil sie ohnehin äußerst knapp sind, sondern auch weil die rivalisierenden Bürgerkriegsfraktionen und Clans sich kräftig aus den Lager- und Bargeldbeständen des Staatsbetriebes bedient haben, um Konsumgüter und Waffen zu kaufen.
Aber westliche Experten äußern unter vier Augen noch einen weiteren Verdacht: daß die tadschikische Aluminiumproduktion eigentlich unrentabel sei und lediglich der Bereicherung auf Staatskosten diene. Deswegen verursache eine Schließung der Fabrik möglicherweise keinen Schaden, sondern könne letztlich sogar einen Gewinn für die tadschikische Volkswirtschaft darstellen.
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