: „Wir werden einen langen Atem brauchen“
■ Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Engelen-Kefer zum Protest gegen die Sparpläne
taz: Frau Engelen-Kefer, die Großdemonstration in Bonn scheint die Bundesregierung nicht besonders beeindruckt zu haben. Am Samstag wird in sechs Städten protestiert. Fürchten Sie nicht, daß sich die Proteste totlaufen?
Ursula Engelen-Kefer: Nein, uns war ja immer bewußt, daß wir angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Bonn einen langen Atem brauchen würden. Auf der anderen Seite haben wir schon etwas erreicht. Immerhin sind ja die Maßnahmen zur Heraufsetzung des Rentenalters für Frauen etwas abgeschwächt worden. Das reicht zwar bei weitem nicht aus, aber ein bißchen hat sich schon getan. In den entscheidenden Fragen, bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder bei der Auflockerung des Kündigungsschutzes, ist die Regierungskoalition allerdings bei ihrer harten Haltung geblieben.
Was heißt jetzt langer Atem?
Wir werden die Proteste bis zur Bundestagswahl wachhalten.
Sie haben die Kohl-Regierung davor gewarnt, den sozialen Frieden im Lande zu zerstören. Schätzt Kohl die rebellischen Ambitionen im Volk realistischer ein als der DGB?
Kohl hat sich ja vor dem 15. Juni sehr verächtlich über die Demonstranten geäußert und davon gesprochen, dem „Druck der Straße“ nicht nachgeben zu wollen. Die Beteiligung reichte weit über das gewerkschaftliche Spektrum hinaus. Zahlreiche kirchliche Gruppen, Sozialverbände und besonders viele junge Leute waren in Bonn. Ob die Regierung es sich auf Dauer leisten kann, die Interessen all dieser Menschen zu ignorieren, möchte ich erheblich in Frage stellen.
Der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte hat für den Fall von Tarifvertragskündigungen wegen der Lohnfortzahlung sogar Streiks angekündigt. Herrscht darüber Einigkeit im DGB-Bundesvorstand?
Ich bin mir sicher, daß wir uns auf eine gemeinsame Strategie verständigen werden und es ein hohes Maß an Solidarität zwischen allen Einzelgewerkschaften geben wird. Einzelne Gewerkschaften haben für den Fall von Tarifvertragskündigungen ja schon Streiks angekündigt.
Der IG-Chemie-Chef Hubertus Schmoldt spekuliert schon über eine Neuauflage der Kanzlerrunde. Was wollen Sie da noch, wo doch BDI-Chef Henkel seine Zunft dazu aufruft, „Schluß mit der Konsenssoße zu machen“. Der Preis in Deutschland dafür sei zu hoch.
Solche Äußerungen, die auch von anderen Arbeitgebervertretern gekommen sind, zeigen, wer die Verantwortung dafür trägt, daß die Gespräche geplatzt und wir nicht zu einer gemeinsamen Strategie zur Verringerung der Arbeitslosigkeit gekommen sind. Wir haben verschiedene Kompromißangebote zur Beschäftigungssicherung gemacht – sei es bezüglich der Flexibilisierung von Arbeitszeiten, sei es das Angebot zu moderaten Lohnabschlüssen. Außer Schienbeintritten und immer neuen Forderungen kam von den Arbeitgebern nichts, und die Bundesregierung hat beim Kündigungsschutz und bei der Lohnfortzahlung die Axt angesetzt. Solange es bei diesen Absichten bleibt, sehen die Gewerkschaften – und das ist im Bundesvorstand ganz klar geworden – keinerlei Möglichkeiten, die Gespräche wieder aufzunehmen. Ich kann nur dringend an die Regierungskoalition und die Arbeitgeber appellieren, nicht länger den Hardlinern im eigenen Lager zu folgen. Interview: Walter Jakobs
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