: "An das Geld der Reichen herankommen"
■ Bankerin Marlene Kück zum Existenzgründer-Programm des Senats: "Manche Million wurde in den Schornstein geschossen." Eine neue Börse soll kleinen und mittleren Unternehmen das nötige Eigenkapital vers
Professorin Marlene Kück, 43 Jahre, leitet die „Bank für Kleine und Mittlere Unternehmen“ in Berlin. Sie finanziert speziell Betriebe zwischen 20 und 200 Beschäftigten. Die Bank vermittelt billige Kredite der öffentlichen Förderbanken, deren Bearbeitung den Großbanken zu kompliziert ist.
Mitte der 80er Jahre arbeitete Marlene Kück im Vorstand des Netzwerkes, das selbstverwaltete Unternehmen förderte. Danach dirigierte die Bankerin die Bürgschaftsbank. Dieses Institut bietet anderen Banken Sicherheiten für Kredite, die kleine Unternehmen von ihnen sonst nicht bekommen würden. Außerdem leitete Kück eine Beteiligungsgesellschaft, die Kapital von Privatleuten sammelt und in Firmen investiert. Von ihrer Professur für Finanzwirtschaft an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik ist die gebürtige Bremerin beurlaubt.
taz: Der Senat veranstaltet seine Gründertage. „Neue Betriebe, neue Arbeitsplätze“ lautet die Devise. Geht die Rechnung auf?
Marlene Kück: Je größer die Wirtschaftskrise, desto höher die Zahl der Existenzgründungen. Das ist immer so. Ob die neuen Unternehmen auch alle überleben, ist eine andere Frage.
1995 sind rund 8.000 Unternehmen mehr eröffnet als geschlossen worden. Der Senat scheint richtig zu liegen.
Erst nach etwa fünf Jahren zeigt sich, ob ein Unternehmen durchhält. Wenn ein Betrieb 1995 gegründet wurde, kann man seine Chancen jetzt noch nicht endgültig beurteilen. Die Konkurrenz hat zum Beispiel in der Baubranche eine sehr hohe Intensität. Diese Marktbedingung ist verdammt ungünstig für Neugründungen.
Was läuft falsch bei den Programmen zur Existenzgründung?
Die Einsteiger beginnen oft auf einem zu niedrigen Niveau. So braucht zum Beispiel ein Schuhgeschäft mit 80 Quadratmetern Verkaufsfläche erst gar nicht anzufangen. Es ist meist zu klein, um ein attraktives Leistungsangebot präsentieren und im Wettbewerb bestehen zu können. Die Wirtschaftspolitik setzt auch zu wenig Prioritäten. Es gibt keine klar umrissenen Förderungsschwerpunkte. Anstatt einer klaren Konzeption herrscht zu viel Wildwuchs. Die Schwerpunkte müßten bei den strukturell wichtigen Branchen liegen. Ich nenne hier die Medizintechnik und die Umweltwirtschaft.
Im Umweltbereich wird gefördert, was das Zeug hält. Sind die Programme zu undifferenziert?
Die gehen in die richtige Richtung. Aber sie sehen in Berlin oft nur finanzielle Zuschüsse für Umweltschutzmaßnahmen vor. Diese Geldgeschenke führen zu Mitnahmeeffekten. Manche Million wurde regelrecht in den Schornstein geschossen. Ich habe Betriebe vor Augen, die Zuschüsse einkassierten und kurz darauf ihre Tore schlossen.
Wie sollte die Unterstützung für Gründer denn aussehen?
Man muß klotzen, nicht kleckern. Die öffentliche Hand sollte sich ihre Kredit- und Zuschußprogramme sparen und das Geld als Eigenkapitalhilfe auszahlen.
Wieso kann sich ein Betrieb mit Eigenkapital besser über Wasser halten als mit Krediten?
Unternehmen, die ausreichend mit Eigenkapital ausgestattet sind, können ökonomische Krisen besser meistern als kreditfinanzierte Betriebe. Denn Kredite sind mit hohen Zins- und Tilgungsverpflichtungen verbunden. Sie führen zu enormen Zahlungsbelastungen. Wenn es dann konjunkturelle Schwierigkeiten gibt, sind junge Unternehmen oft überfordert. Sie werden zahlungsunfähig und geben auf. Um das zu vermeiden, könnte die öffentliche Hand langfristige Eigenkapitalhilfe gewähren, die erst nach zehn oder 20 Jahren getilgt werden muß. Auch die Zinsen sollten zumindest in den ersten Jahren unter dem marktüblichen Satz liegen.
Doch die öffentlichen Kassen sind leer. Die Chance für neue Förderprogramme ist gering.
Der Senat sollte deshalb darüber nachdenken, ob er nicht unkonventionelle Maßnahmen ergreift. Er könnte die Eröffnung einer Spezialbörse für den Klein- und Mittelbetriebssektor unterstützen. Dies belastet den Haushalt nicht allzusehr und fördert den Kapitaltransfer in die dezentrale Ökonomie.
Wozu eine weitere Börse? Es gibt schon welche.
Wenn man junge und risikoreiche Unternehmungen mit Eigenkapital versorgen will, muß ein neues Denken her. In den USA investieren viele Privatleute ihr Vermögen in Anteilscheine von Betrieben. Das muß man sich so vorstellen: Ein mittelständisches Unternehmen wie die taz etabliert sich als kleine Aktiengesellschaft und verkauft seine Anteile. Die werden erstmal von einem Wertpapierhändler oder einem Investmenthaus übernommen. Diese bringen die Aktien dann unter die Leute. Man braucht dafür neue Investmenthäuser und eine neue Börse, denn die Zulassungsvoraussetzungen an der existierenden Börse sind zu rigide. Risikoanlagen haben dort kaum Zugang.
Warum an Privatleute appellieren? Die Banken werden immer fetter. Sie sollen Risikokapital geben.
Das dürfen die gar nicht. Geschäftsbanken haben die Aufgabe, Privatkapital zu sammeln und es risikolos zu vermehren. Das Kreditwesengesetz sieht eindeutig vor, daß das in Form von Krediten ausgegebene Fremdkapital auf bestimmte Weise gesichert sein muß.
Aber Ihre eigene Bank für Kleine und Mittlere Unternehmen gibt doch Risikokapital an politisch korrekte Geschäftsleute?
Um Gottes willen, nein. Da könnte ich sofort meine Zulassung beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen zurückgeben. Meine Bank würde konkursanfällig und ich setzte das Geld meiner Anleger aufs Spiel.
Warum sollten Privatleute in junge Firmen investieren? Sie laufen ebenso Gefahr, daß ihre Einlage im Konkurs vernichtet wird.
Wenn ich bei Banken anlege, erwarte ich eine gesicherte Vermögensvermehrung. Wenn ich aber Aktien eines jungen Betriebes kaufe, setze ich auf Risiko. Das ist ein Unterschied, und das muß man den Leuten auch sagen. Investitionen in Eigenkapital haben freilich auch einen entscheidenden Vorteil. Je mehr eigene Mittel ein Unternehmen besitzt, desto besser kann es Krisen abfedern. Jede Mark in Eigenkapital erhält damit eine bestimmte Sicherheit.
Mit dem alten Banken- und Kreditsystem kann man also die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen und Arbeitsplätze nicht finanzieren?
Nein, denn dieses System beruht auf den Prämissen der 70er Jahre. Damals sammelten die Banken das Geld des Mittelstandes ein, um es sicher zu verwahren. Denn sein Verlust hätte die Sparer in die Existenzkrise getrieben. Zur heutigen Zweidrittelgesellschaft habe ich eine ganz widerwärtige These: Das bürgerliche Drittel löst sich auf. Der Mittelstand droht in Richtung Armut abzusacken und nähert sich dem unteren Drittel der Bevölkerung an, das durch Arbeitslosigkeit immer mehr an den Rand gedrängt wird. Das obere Drittel aber ist sehr, sehr reich. Diese Leute können einen Teil ihres Geldes in unsicheren Anlagen unterbringen, weil der Verlust ihre persönliche Position nicht im Kern berühren würde. Mit neuen, gewinnträchtigen Anlagemöglichkeiten muß man an das Geld der Reichen herankommen. Interview: Hannes Koch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen