■ Zahlenspiele: Laute Appelle, leere Versprechen
Es gibt viele Orte, die von der Arbeit und der Zukunft und der Hoffnungslosigkeit erzählen. Ein solcher Platz war gestern beim Bundeskanzler: Helmut Kohl hatte Abgesandte der Handwerkskammern geladen. Thema der Runde: Jugend und Berufsausbildung.
Zahlenspiele lagen auf dem Tisch, frisch von der Bundesanstalt für Arbeit ausgetüftelt. Ende des Jahres werden etwa 20.000 junge Menschen „unversorgt“ dastehen, meinen die Statistiker. Ende August suchten bei den Arbeitsämtern noch 117.046 Schulabgänger eine Lehrstelle. Helmut Kohl nennt dies heute „eine Schande für Deutschland“ und forderte auch gestern die Betriebe auf, alles zu unternehmen, damit jeder und jede eine Ausbildungsstelle bekommt. Vor 20 Jahren ging der damalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz das Problem beherzter an: „... es (wird) notwendig sein, auch jene Betriebe stärker zur Finanzierung der beruflichen Bildung heranzuziehen, die sich nicht unmittelbar an der ... Ausbildung beteiligen.“ Das sind Worte von gestern. Heute fordert in erster Linie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) eine Ausbildungsabgabe. Am Jahresende werden nicht 20.000, sondern zwischen 80.000 und 120.000 Jugendliche ohne Lehrstelle dastehen, prognostizierte der DGB gestern. Denn jene, die keine Lehrstelle gefunden haben oder keine Runde in einem Berufsförderlehrgang drehen können, die melden sich erst gar nicht mehr beim Arbeitsamt.
Die Berufsausbildung steckt in einer tiefen Krise. Beispiel Brandenburg: Bis zu zehn Prozent der Bewerber und Bewerberinnen blieben 1995 unversorgt. Von der Schulbank gingen sie direkt auf die Straße, in Hilfsarbeiterjobs oder blieben schlichtweg zu Hause. Zu diesem Ergebnis kommt eine „Berufsbildungsbilanz“, die das Kölner Institut für soziale Chancen erstellte.
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