Wo bitte geht's zum Kernauftrag?

Spielen im Jahr 2000 die Berliner Theater nur noch an jedem zweiten Tag? Die Sparmaßnahmen, die Kultursenator Radunski seinen Schäfchen zumutet, weisen pfeilgerade in diese Richtung – der Mann macht ernst. Ein Überblick  ■ von Ulrich Clewing

Berlin schrammt seit Jahren an der drohenden Pleite entlang. Entsprechend drastisch sind die Sparmaßnahmen, die Kultursenator Peter Radunski (CDU) jetzt vorgeschlagen hat.

In den ersten acht Monaten seiner Amtszeit hatte sich Radunski nur sehr vage zu seinen politischen Zielen geäußert. Nun zeigt sich, daß auch er die Kultur vor den Sparvorgaben der Finanzsenatorin nicht bewahren kann. Um 100 Millionen Mark soll der Berliner Kulturhaushalt bis 1999 reduziert werden. Nach den Wahlen im letzten Oktober hatte die Sache noch ganz anders ausgesehen. Damals hatten Klaus Franke (CDU), der Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Abgeordnetenhauses, und CDU-Fraktionsvorsitzender Klaus Landowsky vehement bestritten, daß beabsichtigt sei, den Kulturetat zu kürzen. Zu der Zeit war der Posten im Kulturressort noch unbesetzt.

Am härtesten hat es die Freie Berliner Kunstausstellung (FBK) erwischt. Die allen Berliner Berufs- und Hobbykünstlern offenstehende, juryfreie Ausstellung, die seit Anfang der siebziger Jahre regelmäßig jeden Mai in den Messehallen stattfand, wird in Zukunft ersatzlos gestrichen. Ähnlich mau sieht es in der Tanzszene aus: Die drei Ballette der Opernhäuser sollen zu einer einzigen Kompanie zusammengelegt werden. Darüber hinaus müssen die großen drei, die Deutsche Oper, die Staatsoper und die Komische Oper, die momentan zu dritt 223 Millionen Mark erhalten, nach Radunskis Vorstellungen bis zum Jahr 1999 zusätzlich insgesamt 27 Millionen einsparen.

Die beiden Tempel der „leichten Muse“, das auf Musicals und Operetten abonnierte Metropol- Theater und der Friedrichstadtpalast, „Europas größtes Revuetheater“, kommen bei Etats von zusammen 73 Millionen Mark auf ein Minus von 23 Millionen Mark. Die Sprechtheater sollen künftig mit insgesamt 13 Millionen Mark weniger haushalten.

Unklar ist derzeit noch, was mit den Literatureinrichtungen im Ostteil Berlins, dem Brecht-Forum, der Literaturwerkstatt und dem Kinder- und Jugendliteraturhaus Lesart passieren wird. Kultursenator Radunski hatte in der Vergangenheit verschiedentlich erklärt, daß er sich vorstellen könne, nur noch das Literarische Colloquium am Wannsee sowie das Literaturhaus in der Fasanenstraße zu unterstützen. Aufgelöst wird auch das Internationale Institut für Traditionelle Musik, das den Senat 1995 rund eine Million Mark kostete.

Eines der Schlagworte, die Radunski derzeit am häufigsten bemüht, ist das von der „Bündelung der Kräfte“. Speziell die Theater müßten sich auf „ihren Kernauftrag“ – was immer das sein mag – konzentrieren.

Im Klartext heißt das, daß Gastspielreisen wegfallen werden, Spielstätten wie die Baracke des Deutschen Theaters oder die 1995 von der Volksbühne für neun Monate im Jahr gemietete und von Lukas Langhoff geleitete Bühne im Prater an der Kastanienallee sich demnächst „selber tragen“ müßten. Was das bedeutet, kann man sich leicht vorstellen. An diesen Orten werden oft Experimente gewagt, mit denen man kaum ein breites Publikum erreicht. Selbstverständlich weiß Radunski das, es hat für ihn nur offenbar keinerlei Relevanz.

Da paßt es ins Bild, daß der Kultursenator in seine jüngsten Sparpläne eine Institution miteinbezogen hat, von der bisher noch mit keinem Wort die Rede war, und zwar die jährlich im Februar stattfindenden Internationalen Filmfestspiele. Es ist zwar noch Zukunftsmusik, doch wenn die Berlinale erst einmal an das Filmzentrum am Potsdamer Platz gezogen sei, müsse man, so Radunski, über die Rolle des Internationalen Forums des jungen Films und der Filmmesse „nachdenken“.

Es klingt schon ein wenig schizophren: Auf der einen Seite wird Radunski nicht müde zu betonen, wie wichtig die Kultur für die Anziehungskraft von Berlin sei. Gleichzeitig aber arbeitet er hart daran, deren Vielfalt niederzumähen.

Wenn den Sparplänen des christdemokratischen Kultursenators eine Methode zugrunde liegt, dann diese: Die Masse macht's. Große Häuser und Einrichtungen von allgemeinem Bekanntheitsgrad kommen mit einem blauen Auge davon, die kleinen dagegen müssen sehen, wo sie bleiben. Eine andere Konstante in Radunskis Überlegungen ist das, was man früher einmal das Gießkannenprinzip genannt hat. Zu einem drastischen Schnitt, wie ihn sein glück- und parteiloser, SPD-naher Vorgänger Ulrich Roloff-Momin mit der Schließung des Schiller Theaters praktizierte, hat sich Radunski noch nicht durchringen mögen.

Statt beispielsweise eine der drei Opern ganz dichtzumachen, damit die übrigen Berliner Kulturinstitutionen ihr heutiges Niveau halten können, werden sie alle in ihren Etats so beschnitten, daß letztlich niemand etwas davon hat. Natürlich tun solche Schritte weh. Und wer sich vor Augen hält, wie die Freie Volksbühne, ehemals die größte der Berliner Bühnen, vor sich hinvegetiert, seit sie an die private Lighthouse GmbH („Shakespeare and Rock 'n' Roll“) verpachtet ist, dem mögen durchaus Zweifel am Nutzen solcher Radikalkuren kommen. Andererseits scheint es langfristig keine Alternative zu geben.

Bei all den Versuchen, eine wirkungsvolle „Überlebensstrategie für die Berliner Kultur“ (Radunski) zu finden, bleibt nur ein Posten unangetastet. In Radunskis Zuständigkeit fallen nämlich nicht nur Theater, Museen und Literaturhäuser, sondern auch die Berliner Kirchen. Doch darüber breitet der Senator den Mantel des Schweigens. Am Umfang der Zuwendungen kann die mangelnde Aufmerksamkeit nicht liegen: Sie nehmen in der Rangliste der Geldempfänger den vierten Platz ein und kassieren 1996 knapp 113 Millionen Mark aus Radunskis Finanztopf.