Streit um Kleist
: Kommt MP (HvK) von AGB nach KGF?

■ Der Nachlaß von Heinrich von Kleist soll endlich von Berlin nach Frankfurt (Oder) überführt werden

Eigentlich ist alles ganz einfach. Am Geburtsort Heinrich von Kleists, Frankfurt (Oder), wurde zu DDR-Zeiten eine Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte eingerichtet, kurz KGF. In Berlin aber lagert die bedeutendste private Kleist-Sammlung aus dem Nachlaß des Kleist-Forschers Georg Minde-Pouet, kurz MP- Sammlung. Sie liegt in einer der größten Bibliotheken Deutschlands, der Berliner Amerika-Gedenkbibliothek, kurz AGB. Alle wären glücklich, gelänge in den nächsten Tagen ein einfaches Transportunternehmen: MP soll von AGB nach KGF transportiert werden, auf daß in Frankfurt (Oder) ein Sammlungsschwerpunkt entstehe, wie ihn Kleist verdient hätte. Alles ist eingeleitet, das Geld fließt aus Richtung Bund, Land und Berlin, zur Vorbereitung des ganzen haben die Herausgeber der Kritischen Kleist- Ausgabe (Stroemfeld/Roter Stern), Roland Reuß und Peter Staengle, zusammen mit einer eigens hierzu eingestellten Bibliothekarin den Nachlaß gesichtet, systematisiert und elektronisch erfaßt. Allerdings wollen die Frankfurter Kleistianer unter Führung des neuen Direktors Hans-Joachim Marquardt nun eben diese Bibliothekarin nicht übernehmen und begründen die Ablehnung mit Zweifel an ihrer „Gesamtpersönlichkeit“. In Berlin wird darum befürchtet, der gesamte MP-Nachlaß könnte in Frankfurt in düsteren Kammern verschwinden. Charlotta Flodell, Direktorin der AGB, fragt sich jetzt, ob sie ihre Schätze herausrücken soll.

taz: Frau Flodell, wie ist der aktuelle Stand?

Charlotta Flodell: Wir haben im März in einer feierlichen Stunde die Übergabe vollzogen und Herrn Marquardt, dem Leiter der KGF, symbolisch ein Buch übergeben. Es gibt auch einen Vertrag, und im Grunde ist alles geregelt. Ich denke aber, daß die neue Wendung das Ganze in Frage stellt.

Welche Wendung?

Daß Claudia Schernus, die die Sammlung hier bei uns aufgearbeitet und systematisiert hat, in Frankfurt abgelehnt wird, wirkt auf uns doch sehr merkwürdig. Das ist gegen alle Vernunft, außerdem war die Systematisierung und fachliche Betreuung durch eine am Projekt geschulte Bibliothekarin eine Grundvoraussetzung dafür, daß wir überhaupt Geld bekamen. Hinzu kommt, daß wir Frau Schernus bewußt aus Frankfurt (Oder) holten, damit sie nach der Übergabe die weitere Betreuung der Sammlung dort übernimmt. Ich habe den Eindruck, daß die KGF sie nicht will, da sie sozusagen „Westkontakt“ hatte.

Hat man das direkt gesagt?

Direkt sagt man das natürlich nicht, aber wie soll man es sonst interpretieren, daß die qualifizierteste Frau nicht einmal zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wird?

Wie werden Sie sich weiter verhalten?

Ich will natürlich, daß die KGF an Glanz zunimmt und denke weiterhin, daß unsere Sammlung dafür ganz wichtig ist. Ich will sie allerdings nicht überführen, bevor nicht transparent gemacht wird, was in Frankfurt (Oder) damit geschieht. Herr Marquardt scheint bemerkt zu haben, daß wir da skeptisch sind. Er hat in meiner Abwesenheit angerufen und angekündigt, er werde die Sammlung dieser Tage abholen lassen.

Was machen Sie, wenn tatsächlich ein Möbelwagen aus Frankfurt vorfährt?

Ich bin unsicher, denke aber, daß es so auf keinen Fall geht. Demokratische Verfahrensweisen müssen in der Stellenbesetzung des öffentlichen Dienstes eingehalten werden. Wer sagt mir nach diesem intransparenten Vorspiel, daß die Sammlung in Frankfurt dann auch tatsächlich für das interessierte Fachpublikum zugänglich sein wird? Ich bezweifle, daß einer der Kandidaten, die jetzt bei der KGF im Gespräch sind, überhaupt mit dem Computerprogramm umgehen kann, mit dem wir den Nachlaß systematisiert haben.

Interview: Jürgen Berger