: Länger leben - weniger Rente
■ Experten schlagen gravierende Änderungen im Rentensystem vor
Berlin/Bonn (taz/AP) – Das Szenario für die Zukunft: Wer als Scheinselbständiger alleine vor sich hinwurschtelt, muß trotzdem Rentenversicherungsbeiträge einzahlen. Kinderlose Witwen bekommen weniger Hinterbliebenenrente aus der Versorgung des Verblichenen. Und wer aus einem besonders langlebigen Jahrgang stammt, kriegt gleichfalls weniger Altersruhegeld. Die Vorschläge stammen von Experten auf dem gestrigen CDU-Zukunftsforum „Soziale Sicherung“ in Bonn, wo um die künftige Rentengestaltung gestritten wurde.
Der Volkswirtschaftler Bert Rürup, Mitglied der Bonner Regierungskommission zur Reform der Alterssicherungssysteme, und der Direktor des Verbandes der Rentenversicherungsträger (VDR) Franz Ruland erteilten Modellen für eine steuerfinanzierte Grundrente eine Absage. Auch Bundesarbeitsminister Blüm will die auf Beitragszahlung basierende Sozialversicherung „mit Zähnen und Klauen“ verteidigen. Blüm, Rürup und Ruland erklärten, die Renten seien innerhalb des bestehenden Systems reformierbar. Nach der Kinderzahl gestaffelte Beiträge zur Rentenversicherung lehnte Ruland ab.
Ein Finanzproblem sei die lange Laufzeit der Renten, weil die Bevölkerung immer länger lebe. Die Laufzeit der Renten hat sich nach Rulands Angaben seit 1960 um 60 Prozent verlängert. Gründe dafür seien die steigende Lebenserwartung und der zu frühe Renteneintritt. Gäbe es noch die gleichen Rentenlaufzeiten wie 1960, bräuchte die Rentenversicherung einen Beitragssatz von nur zwölf bis 13 Prozent statt derzeit 19,2 Prozent zu erheben. Vor diesem Hintergrund sei die von der Bundesregierung geplante Heraufsetzung der Altersgrenzen für den Rentenbeginn unvermeidbar.
Einsparpotential gebe es bei der Hinterbliebenenversicherung, sagte Ruland. Weil Frauen mehr als früher erwerbstätig seien, erhielten sie auch häufiger eigene Renten. „Sie machen Hinterbliebenenrenten ganz oder teilweise entbehrlich, für die 22 Prozent der Rentenausgaben eingesetzt werden.“ Es sei fraglich, ob eine junge Witwe ohne Kinder weiter lebenslang eine Hinterbliebenenrente bekommen soll. Derzeit beträgt die Hinterbliebenenrente 60 Prozent des Altersruhegelds des Verstorbenen. Allerdings wird ein Teil des eigenen Einkommens der Witwe damit verrechnet.
Ruland und Rürup sprachen sich dafür aus, „Scheinselbständige“ in die Versicherungspflicht einzubeziehen. Nach Rürup gibt es rund 600.000 solcher Personen, die als „Selbständige“ ohne eigene Beschäftigte arbeiten. In Österreich gebe es bereits eine Versicherungspflicht für diesen Personenkreis. Rürup schlug vor, die aktuelle statistische Lebenserwartung eines Rentenjahrganges in der jeweiligen Rentenberechnung zu berücksichtigen. BD
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