Rollende Bombe unerkannt unterwegs

Bundesregierung führt keine aktuelle Statistik über den Transport gefährlicher Güter. Auch über Unfallopfer und Schäden wird in Deutschland nicht gesondert Buch geführt  ■ Von Manuela Römer

Berlin (taz) – Kein Mensch weiß, wie oft und wieviel Chlor, Dioxin, Heizöl, Salzsäure, Butan und andere Gefahrstoffe auf welchen Wegen mit welchen Transportmitteln in Deutschland hin und her gefahren werden. Das mußte die Bundesregierung kürzlich auf eine Anfrage der Bündnisgrünen eingestehen. „In der amtlichen Statistik werden Gefahrguttransporte grundsätzlich nicht erfaßt“, heißt es in der Antwort der Regierung.

Von 1984 bis 1992 gab es immerhin noch Schätzungen für die Gefahrgutmengen und ihre Verteilung auf Bahn, Straße und Schiff. Die Anzahl der Transporte, Hauptrouten oder die Verkehrsleistung, das heißt die beförderten Tonnen pro Kilometer, blieben jedoch unberücksichtigt. Nach 1992 bricht die Statistik ganz ab.

Was sich seit der Privatisierung der Deutschen Bahn 1994 verändert hat, die jetzt ihrer Beförderungspflicht auch für Gefahrgüter enthoben ist, ist nirgendwo dokumentiert. Selbst die internen Daten der Bahn AG reichen laut Michael Adam, Sprecher für Güterverkehr, nur bis zum Jahr 1994. „Die Gefahrgutmengen der letzten Jahre sind in etwa gleich geblieben – jeweils rund 50 Millionen Tonnen.“ Insgesamt aber ergebe sich tendenziell eine Zunahme der Gefahrguttransporte.

Die Chemieunfälle der letzten Monate wie in Saarlouis, Leverkusen, Schönebeck, Bramsche und Passau haben die sicherheitstechnischen Probleme solcher Transporte deutlich gemacht.

Vor allem größere Mengen entzündbarer, flüssiger Stoffe wie Benzin und Heizöl wurden auf die Reise geschickt. Benzin und Heizöl werden aber hauptsächlich von Lkws befördert. Eine schleichende Verlagerung des Güterverkehrs auf die Autobahn bedeute eine noch stärkere Gefährdung von Bevölkerung und Umwelt, so die verkehrspolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen im Bundestag, Gila Altmann. Auf der Straße ist die Ladung besonders durch übermüdete Lkw-Fahrer gefährdet. Gila Altmann spricht von „rollenden Bomben“ auf unseren Straßen.

Eine einheitliche Unfallstatistik für Gefahrguttransporte gibt es allerdings auch nicht. Die der Bundesregierung bekannten Daten sagen nichts darüber aus, in welchem Maße die Umwelt geschädigt wurde, welche Schadstoffe ausgetreten sind. Auch über Tote und Verletzte ist nichts zu erfahren. Den Daten kann man lediglich entnehmen, wie oft gefährliche Stoffe freigesetzt wurden und wie viele „Kraftfahrzeugführer“ – nicht Unfallopfer – beteiligt waren. Mit solchen Zahlen läßt sich die Schadensbilanz der unterschiedlichen Verkehrsträger nicht vergleichen. Im Papier der Bundesregierung selbst heißt es: „Eisenbahnunfälle sind – sowohl bezogen auf die Verkehrsleistung als auch nach absoluten Zahlen – relativ selten.“

Bündnis 90/ Die Grünen fordern deshalb eine Initiative von der Bundesregierung: „Gefahrgüter auf die Bahn“. Die chemische Industrie zeigt sich offen für die Forderung, möchte aber gesetzliche Vorschriften vermeiden. Darüber hinaus fordern die Grünen höhere Sicherheitsstandards und aussagekräftige Statistiken.

Die Verantwortung für Gefahrguttransporte weist die Regierung jedoch in allen Punkten von sich. In die Entscheidungen des Unternehmens Deutsche Bahn AG könne sich der Staat nicht einmischen. Für Sicherheit sei zum Beispiel durch das Transport-Unfall- Informationssystem der chemischen Industrie (TUIS) gesorgt, die Unfallbekämpfung liege bei den Landkreisen.

Und für neue Statistiken fehle schlichtweg das Geld, sagt Hans- Joachim Stehde vom Statistischen Bundesamt.