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„Wir konnten sie nie als Befreier betrachten“

■ Interview mit Tokushin Yamauchi, dem Bürgermeister von Yomitan auf Okinawa, über das Verhältnis der Bewohner Okinawas zu den Amerikanern und zur Regierung in Tokio

Tokushin Yamauchi, Jahrgang 1935, regiert das 25.000-Einwohner-Städtchen Yomitan seit 22 Jahren. Zuvor war er Oberschullehrer und Mitglied der sozialistischen Partei. Seinem Bemühen verdankt Japan die Aufklärung des Massakers in der Grotte von Chibi-Chili. Dort begangen 84 Menschen, davon mehr als die Hälfte Kinder, in Übereinstimmung mit den Befehlen des Kaisers Selbstmord, als im April 1945 in Yomitan die ersten US-Truppen auf japanischen Boden landeten.

taz: Die Amerikaner haben Okinawa vom japanischen Faschismus befreit. Wollen Sie die Amerikaner jetzt forthaben?

Yamauchi: Das Ziel unser Volksabstimmung ist der Abzug aller US-Soldaten. Aber das braucht Zeit. Der Gouverneur von Okinawa hat deshalb einen stufenweisen Abbau bis zum Jahr 2015 vorgeschlagen.

Sind Sie sich bewußt, daß ein Erfolg den Kern des japanisch- amerikanischen Sicherheitsvertrags aushöhlen könnte?

Wir stimmen nicht direkt über den Sicherheitsvertrag ab. Aber unsere Wahl soll Einfluß auf die Natur dieses Vertrags nehmen. Er wurde noch unter den Bedingungen der japanischen Niederlage unterzeichnet und trägt die Handschrift der Sieger. Die Bürger von Okinawa wurden unter dem Vertrag nie gleichwertig behandelt. US-Soldaten kamen nicht vor unsere Gerichte und entgingen gerechten Strafen. Erst die Vergewaltigung einer Schülerin durch drei US-Soldaten hat uns im vergangenen Jahr dazu gebracht, unsere Rechte einzufordern.

Bei der Schlacht um Okinawa starben im Frühjahr 1945 240.000 Menschen, darunter viele Zivilisten. Die meisten waren vermutlich Opfer der japanischen Armee, die auf ihrem Rückzug die Leute schutzlos den Angriffen aussetzte. Richtet sich Ihr Ärger gegen den falschen Gegner?

Bis zur Landung der Amerikaner glaubten wir, daß die japanische Armee uns beschützen würde. Dann lernten wir, daß nur die Amerikaner auf unser Leben Rücksicht nahmen. Die Japaner hatten uns gelehrt, daß die Amerikaner Teufel sind und uns wie Tiere behandeln und töten würden. Deshalb begangen viele von uns Selbstmord in Übereinstimmung mit den Befehlen des Kaisers, noch bevor die US-Truppen landeten. Später erkannten wir die Fehler der japanischen Erziehung im Krieg. Das Verständnis von Menschenwürde und Demokratie verdanken wir bis heute den Amerikanern. Insofern kennen wir sowohl die gute als auch die schlechte Seite der amerikanischen Armee.

Sehen Sie in den Amerikanern heute Befreier oder Besatzer?

Die Amerikaner waren Feinde, aber behandelten uns menschlicher als die Japaner. Andererseits nahmen sie uns nach dem Krieg unter Gewehrdrohungen das Ackerland weg, um ihre Militärbasen einzurichten. So konnten wir sie nie als Befreier betrachten.

Wenn im Jahr 2015 alle US- Basen auf Okinawa verschwunden sind, könnte China bereits wirtschaftlich stärker als Japan sein. Haben Sie keine Angst, daß Okinawa unter einer zukünftigen Rivalität zwischen beiden Ländern ohne den Schutz Amerikas leiden könnte?

Bis wir 1609 unsere Unabhängigkeit an Japan verloren, unterhielten wir ausgezeichnete Beziehungen zu China. Viele unserer kulturellen Wurzeln reichen nach China. Wenn nun das Zeitalter Chinas beginnt, sollten wir uns nicht dagegen wehren, sondern uns um gute Beziehungen mit China bemühen. Dazu muß sich Japan zu den eigenen Kriegsverbrechen in Asien bekennen. Die Präsenz von US-Truppen würde die Lage nicht verbessern, sondern nur einen dauerhaften Streit zwischen Japan und China herbeiführen.

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