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Halbgarer Kompromiß auf Raten

Hamburger Öffentliche Bücherhallen: Einige werden geschlossen, andere zusammengelegt und der Rest wird irgendwie geprüft  ■ Von Till Briegleb

Der größte Schrecken der Politik ist die Wahrheit, selbst wenn sie diese vorher eingefordert hat. So verlangte der Verwaltungsrat der Hamburger Bücherhallen unter Führung von Kultursenatorin Christina Weiss vor acht Monaten von der Geschäftsführung des Unternehmens ein schlüssiges Konsolidierungsprogramm. Sowohl die angehäuften Schulden von 2 Millionen Mark als auch die Haushaltseinsparungen von knapp 3 Millionen sollten bis 1999 getilgt werden. Doch als die neue Leiterin Hella Schwemsen-Martienßen vor wenigen Wochen ihr „Konzept 2000-X“ vorlegte, kam der große politische Kater. Denn dieses sah durchaus begründet vor, statt der vorher angedrohten acht Schließungen sogar 29 Bücherhallen zu schließen und an 11 neuen Standorten zusammenzulegen.

Dieses Gesamtkonzept, das selbst der Kulturausschuß der Bürgerschaft durch alle Parteien als schlüssig anerkannte und das davon ausgeht, daß es in drastischen Sparzeiten sinnvoller ist, „an wenigen Standorten eine guten Service zu bieten statt den Service in allen Bereichen latent zu verschlechtern“, wurde gestern vom selben Verwaltungsrat teilweise gekippt.

Beschlossen wurden vorerst nur die knappe Hälfte der Maßnahmen als Sofortprogramm sowie der Versuch, verschiedene Standorte durch Kooperationen zu erhalten. Über deren Aussehen konnten allerdings weder die Senatorin noch die Direktorin genauere Angaben machen. Das letzte Drittel von Maßnahmen wurde zur ungewissen Prüfung vertagt.

Das erscheint auf den ersten Blick gegenüber der kompletten Streichliste ein positives Ergebnis zu sein: Statt real 18 Standortverlusten werden vorerst nur acht Bücherhallen eliminiert, vier davon durch Zusammenlegung. Weitere sechs Standorte verlieren ihre faktische Existenz durch Zusammenlegung mit Schulbüchereien oder stehen vor einer höchst ungewissen Zukunft durch Modellversuche mit ehrenamtlichen Mitarbeitern (siehe Kasten).

Tatsächlich ist der Haken an der Geschichte aber, daß durch die Zersplitterung eines Gesamtkonzeptes in Zukunft die Investitionsmittel fehlen werden, um die positive Seite des Konzeptes zu verwirklichen. Denn weder die eindeutige Verbesserung des Services in den verbleibenden Filialen noch die Anschaffung von weiteren Versorgungsbussen noch die verstärkte Investion in neue Bestände und Innovationen auf dem Mediensektor wie Internet umd Multimedia werden sich so in befriedigendem Maße realisieren lassen.

Entsprechend verschnupft reagierte Direktorin Schwemsen-Martienßen bei der gestrige Pressekonferenz auch auf die scheinbare Erfolgsmeldung. Sie sprach von „politischen Rücksichten“, die es zu beachten gebe, korrigierte die Senatorin in ihrer „zu optimistischen Erwartung“, daß mit diesem Beschluß die Konsolidierung bis 1999 erreicht werden könne, und antwortete immer wieder mit „Noch keine Ahnung!“, wenn Nachfragen zur konkreten Umsetzung ihres Gesamtkonzeptes erfolgten.

Da der gestrige Beschluß aber keineswegs bedeutet, daß nicht doch alle 23 Projektvorschläge der Direktorin im Verlauf der nächsten Jahre umgesetzt werden müssen, ist mit dem jetzigen halbgaren Kompromiß kaum mehr als ein kleiner Imagegewinn erfolgt.

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