: „Ein Monat in der Hölle“
■ Wie es ausländischen PraktikantInnen auf der Nordseeinsel Norderney ergeht
Die Frau hinter dem Tresen schüttelt den Kopf: „Die sind faul, die wollen noch nicht mal zehn Minuten Kartoffeln schälen. Wir haben ja nun schon einige Jahre welche, aber dieses Jahr haben wir wirklich Pech!“ Zuckersüß kommen Heida Koch-Malbranc die Worte über die Lippen, während sie ihre Gäste bewirtet.
Koch-Malbranc ist Besitzerin der „Wilhelmine“, einer Pension mit Restaurant auf der Ferieninsel Norderney. Was sie da gerade sagte, galt ihren drei PraktikantInnen. Für drei Monate arbeiten Fouad Ibnounamir, Salima Bejdad und Hamid Kamal, allesamt Eleven der Hotelfachschule im marokkanischen El Jadida, in der Pension. Sie putzen Gästezimmer, bügeln Wäsche, servieren Fischteller, füttern Hühner, jäten Unkraut.
Füttern Hühner, jäten Unkraut? Nicht die einzigen Dinge, über die die drei klagen. Daß sie, bei einem Arbeitsvertrag über 40 Wochenstunden und 600 Mark „Praktikantenvergütung“ im Monat plus freier Kost und Logis, täglich zwischen zehn und zwölf Stunden arbeiten müssen, würden sie bei freundlicherer Behandlung noch ertragen. „Gewöhnlich arbeiten die Praktikanten mehr als 40 Stunden, zumal jetzt, in der Hochsaison“, schränkt denn auch Reinhard Kiefer vom Arbeitsamt Norderney ein. „Doch gibt es dafür meistens noch Geld unter der Hand; die Hoteliers sind ja dankbar, daß sie als Aushilfen nicht Schüler oder Studenten bekommen, sondern Leute, die bereits zwei Jahre Kenntnisse über das Hotelwesen gesammelt haben.“
Anders Koch-Malbranc: Weder bekommen sie, so die PraktikantInnen, die Überstunden bezahlt noch freie Tage zugestanden; dienstags zwischen 11 und 18 Uhr ist ihr Urlaub. Das Trinkgeld im Restaurant kassiert Koch-Malbranc. Die verbietet den MarokkanerInnen auch, Französisch oder Arabisch untereinander zu reden, und rät ihnen, wenig spazierenzugehen „wegen der Rassisten“; stattdessen sollten sie sich in ihrem Zimmer aufhalten, für Hamid und Fouad ein Kellerraum von 9 Quadratmetern mit Gasleitungen, einem Schrank und dem Geräusch der Toilettenspülung – „comme la mer“, ergänzt Hamid bitter.
Koch-Malbranc weist die Vorwürfe von sich: „Mir können Sie nichts anhängen!“ Und um zu beweisen, daß sie ausländerfreundlich eingestellt ist, betont sie, jedes Jahr nach Indien zu fahren: „Ich sammle sogar die Spenden der Nachbarn ein!“
Auf Ordnung aber legt sie Wert. Soussi, den Direktor der Hotelfachschule El Jadidas, lernte sie während seiner Besuche auf Norderney kennen. An ihm lobt sie, daß er seine Schüler preußischer als die Preußen erziehe. Für Fouad, 27, angereist mit einer „vision“ von Freundlichkeit, ordentlichem Arbeiten und harten Deutschmark, war dies dagegen „un mois en enfern“, ein Monat in der Hölle.
Einen Monat, länger hat er nicht in der „Wilhelmine“ gearbeitet: Als er den freien Tag einforderte, der ihm vertraglich zusteht, wurde ihm gekündigt – „wegen Arbeitsverweigerung und Störung des Arbeitsfriedens“. Nur gegen schriftliche Anerkennung dieser Gründe, klagt er, hat Frau Koch ihm den Lohn des ersten Monats ausbezahlt – dann ab vor die Tür. Der Wilde Nordwesten? „Wenn es sich so abgespielt hat, riecht das nach Nötigung“, beurteilen die Norderneyer Rechtsanwälte Peter Wirsing und Holger Reising den Fall. Einschreiten können sie nicht, dazu müßte Fouad bei ihnen vorsprechen.
Im engeren Sinne „nicht zuständig“ sind Karl-Heinz Sigges, Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes auf der Insel, sowie Bürgermeister Remmer Harms (SPD). Doch immerhin wollen sie nach sorgfältiger Prüfung der Vorwürfe informell bei Koch-Malbranc vorstellig werden.
„Die Marokkaner übertreiben da gern ein bißchen.“ Ute Schließmann ist skeptisch. Über ihren Schreibtisch ist der Arbeitsvertrag von Fouad, Salima und Hamid gelaufen; sie ist zuständig für die marokkanischen PraktikantInnen in der „Zentralen und Internationalen Fachvermittlung für Hotel- und Gaststättenpersonal“ (Zihoga) in Frankfurt, die der Bundesanstalt für Arbeit unterstellt ist und im vergangenen Jahr 3.800 Facharbeiter sowie 9.000 Saisonarbeiter aus Osteuropa vermittelte. „Aus Süddeutschland hat mich einmal ein Brief erreicht, da dachte ich 'Oh Gott!', und dann hat sich alles relativiert“, ergänzt sie und insistiert ebenfalls darauf, daß Fouad sich bei ihr melden muß; dann werde das örtliche Arbeitsamt eingeschaltet, um alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen.
Kontrollen einzelner Betriebe führt die Zihoga kaum durch, höchstens eine schriftliche Anfrage gibt es dann und wann. So ist es kein Wunder, daß Frau Schließmann auch nicht bekannt ist, was Salima und Hamid von ihren Vorgängern berichten, die ebenfalls Hotelfachschüler in El Jadida waren – und ebenfalls Praktikanten in der „Wilhelmine“. Toufik Derouich, 26, brach nach einem Monat ab und wiederholte die Klasse, sein gleichaltriger Kollege Youssef Ouavrat hielt es gar nur zwei Wochen aus und ging dann nach Belgien stiften.
Fouad also soll sich melden. Doch der kann erstens kaum Deutsch, zweitens kennt er die Rechtslage nicht. Und drittens ist er längst über alle Berge: Sein Visum gilt, gemäß Schengener Abkommen, nur für die drei Monate, in denen er auf Norderney arbeitet, ansonsten ist eine Abschiebung möglich.
Salima, 22, ist ebenso wie Hamid entschlossen, bis zum Vertragsende Mitte September in der Wilhelmine zu arbeiten. Sie braucht den Lohn und dazu den vertraglich fixierten Reisekostenzuschuß, bei einem Flugticket von 950 Mark immerhin fast die Hälfte. Was dagegen tut Fouad nun? Der Mann zuckt mit den Schultern, macht eine Geste, als ob er ein Blatt Papier zerreiße: Das Diplom, für das nur noch dieses Praktikum und die Abschlußprüfung nötig war – der Direktor der Fachschule wird es ihm nun nicht geben. Vielleicht wiederholt auch er die Klasse. Die Wirtin der „Wilhelmine“ wird's nicht stören. Søren Harms
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