Wenn die Fraktionssprecherin öffentlich Salat ißt

„Das ist ein Experiment“, sprach die grüne Fraktionssprecherin Karoline Linnert in die Runde. Das hieß „öffentliche Fraktionssitzung“ und ging gestern in Raum 2 der Bürgerschaft über die Bühne. Die grüne Bürgerschaftsfraktion wollte ihren Beitrag zum „Tag des offenen Denkmals“ liefern und weihte ab 15 Uhr 26 Schaulustige in die Geheimnisse ihres parlamentarischen Wirkens ein. Offenheit muß sein – auch wenn auf TOP 2 der Tagesordnungspunkt „Mißtrauensantrag gegen Justizsenator Dr. Henning Scherf“ zu finden war. „Das ist ein Problem“, gab Fraktionssprecherin Linnert umumwunden zu, „aber wir wollten ja heute öffentlich diskutieren.“

Bis zum Problem Scherf jedoch war auf den zwei Zuschauerreihen Sitzfleisch gefragt, schließlich wollte Linnert für TOP 1 zur Bremer Beteiligung an der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1999 eine satte Stunde reservieren – Murren bei der Journaille, die sich zwecks Nachrichtenwert wohl oder übel geschlagen gab. Drei wichtige Gäste wollten die Grünen endlich hören und Sunke Herlyn vom Bausenator sollte über die bisher verschwiegene Meinung seines Ressorts berichten. Auch Wilfried Turk, Präsident der Architektenkammer, sei gewillt, an diesem Tage das Wort zu ergreifen und tat es auch: „Kostenfaktoren, ... politisch zu vertreten,... und deshalb und nicht nur, sondern auch, weil unterdessen...“ – Dieter Mützelburg griff entschlossen zum Taschentuch, um gedankenversunken seine Brille zu putzen.

Die ehemalige Kultursenatorin Helga Trüpel mühte sich, ihre lautstark quengelnde Tochter Rahel aus dem Zimmer zu lotsen. Nachbar Mützelburg wienerte weiter, nun am Gestell. Der erste Zaungast und interessierte Bremer Bürger älteren Kalibers gähnte, zwei Minuten später griff die erleichternde Backenmuskelbewegung auf seinen Nachbarn über, der sich schon mit Fingerknibbeln unterhalten hatte. Es folgte der dritter Gähner im Zuschauerraum, während die Journalisten derweil mit klingelnden Handys, Nikotinentzug und drängelnden Redaktionen kämpften. Da half nur eins: Flucht auf den Flur. Helga Trüpel verschlang schließlich einen Salat im Plastikschälchen. Die Fraktionsuhr zeigte 16 Uhr und Karoline Linnert mahnte zur Aufmerksamkeit: „Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 2“. Drei Entwürfe für einen Mißtrauensantrag standen zur Fraktionsdebatte und acht Fraktionsmitglieder auf der Rednerliste – von Scherfs Dickfälligkeit, fehlenden Konsequenzen und politischer Verantwortlichkeit war da ganz einhellig die Rede. Nur einer, der fragte bescheiden: „ Mißtrauensantrag, muß das denn sein?“ Doch Zweifler Hermann Kuhn, Vizepräsident der Bürgerschaft, knickte in letzter Minute ein – auch ohne Fraktionszwang. Brav unterschrieb er den Mißtrauensantrag und mit ihm geschlossen dreizehn andere – jetzt muß noch die AfB-Fraktion mitziehen, damit der Antrag auf die nächste Bürgerschaftssitzung kommt.

„Die haben ja gar nichts abgestimmt“, wunderte sich eine interessierte Zuschauerin im Flur. „Tja, da siehst du mal“, antwortete ihr Begleiter, „wie schwierig das ist, sie alle unter einen Hut zu kriegen.“ kat / Foto: Wolff