Wo Falko Fischer singen wollte

Wer nicht berühmt ist, kann immer noch Doppelgänger eines Berühmteren werden. Wer traurig ist, wird bei einem Doppelgängerfestival nicht fröhlicher – und berühmt wird da auch niemand  ■ Aus Hattersheim Per Hinrichs

Einer der Berühmtesten war schon vor langer Zeit da. Im Foyer kündet eine Fotowand mit Theaterschauspielern von ehemaligen guten Zeiten. Den 70er Jahren. Auch Oberinspektor Stefan Derrick alias Horst Tappert lächelt in den Eingang. Beruhigend. Auch der. Hattersheim braucht sich nicht zu verstecken. Der ideale Ort für ein Doppelgängertreffen, mehr noch: ein Festival.

Und so paßt auf einmal alles: die weiße Stretch-Limousine, die langsam vorfährt und den kargen Platz vor der Stadthalle plötzlich belebt. Die wartenden Besucher, die zusammenlaufen. Die Kamerateams, die die Gäste in allen möglichen Posen abschießen wollen. Nacheinander steigen Norbert Blüm, Arnold Schwarzenegger, Marilyn Monroe, Michael Jackson und Rudi Völler aus dem Wagen.

Wo hat man schon so viele Prominente auf einmal gesehen? Die Fernsehleute inszenieren wieder und wieder den Auftritt der Berühmten, lassen sie wie Schuljungen aufs neue aus dem Wagen klettern. Reporter fragen belustigt nach Mr. Spocks neuestem Weltraumabenteuer. Jungs bitten Michael Schumacher artig um ein Autogramm – obwohl alle wissen, daß es sich bei den vermeintlichen Promis doch nur um Doubles handelt, die sich beim 10. Doppelgängerfestival in der Hattersheimer Stadthalle treffen. Ein Hauch von Hollywood in Hessen.

Auch Falko Fischer möchte dazugehören. Der 57jährige Frankfurter hat sich viel vorgenommen für diesen Montag. „Let me be your teddy bear“ von Elvis will er vortragen und „vielleicht entdeckt werden“. Dafür hat er seinen zartrosa Flanellanzug aus dem Schrank geholt, die Perücke aufgesetzt und bemüht sich nun, wie der King persönlich auszusehen – mit dieser schlaksigen Figur, diesen ausladenden Gesten, mit seiner hohen Stimme. „Es ist eine Chance, bekannt zu werden“, zerstreut er Bedenken, hier könne sich jemand zum Gespött der Leute machen.

Hattersheim hebt sich mit Gewerbegebieten und Autobahnkreuzen im Speckgürtel von Frankfurt hervor. Sauber verputztes Fachwerk ziert die Altstadt, die Fußgängerzone wirkt verschlafen. Da bringen die Doppelgänger Leben rein. Ihr drittes Treffen nutzt die Stadt zur Eigenwerbung. Schumi zur Grillfete? Nobby Blüm zu Omas Geburtstag? Kein Problem. Für ein paar Mark fuchtelt auch Arnold Schwarzenegger mit einer Gotcha-Knarre vor belustigten Gästen herum.

Die kaufmännischen Angestellten, Buchhalter und Arbeitslosen in ihren Kostümen machen den Rummel gerne mit. Schumi alias Bert Kämpfer allerdings findet das Getöse um seine Person „manchmal schon beängstigend. Mit Schumi möchte ich nie tauschen.“ Im Originalanzug, fliehendem Kinn und Sonnenbrille sieht er dem Rennfahrer tatsächlich sehr ähnlich. „Aber Tanken fahren oder einkaufen ist so nicht drin. Die Leute flippen völlig aus“, erklärt Kämpfer.

Spock, im wahren Leben Bibliotheksangestellter, zündet sich erst mal eine Zigarette an. „Natürlich ist das schön, so umworben zu werden. Aber ich stehe da auch wirklich hinter, mit Fan-Club und allem“, erklärt er mit Nachdruck. Nötig hat das, natürlich, keiner. „Ich weiß, wer ich bin“, sagt Spock: „Willi Wiegand.“

Eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung tummeln sich die Doubles im Foyer der Halle, zeigen sich den Leuten. „Entdeckt werden“ – das ist die häufigste Begründung für den Rummel, den Spock und Co. um ihre Person machen. Viel zu tun haben sie eigentlich nicht. Nur wenige treten später wirklich auf der Bühne auf. Und Agenten lassen sich nirgendwo sehen. Der Vulkanier wird wohl weiter in der Bücherei arbeiten müssen.

Lacht da wer? Wer nicht glaubt, daß das Doppelgängerfestival als eine ernsthafte künstlerische Veranstaltung durchgeht, den belehrt Norbert Roth eines Besseren: „Wir geben den Leute eine echte Chance, die bekommen sie nicht so schnell wieder“, meint der Programmdirektor. Er hat unter 80 Bewerbungen die „besten“ Kandidaten ausgesucht. „Das Wichtigste ist die Ähnlichkeit“, erklärt er den Erfolg der Shows. Auch heute ist die Halle mit 300 Gästen ausverkauft. Jeder hat 25 Mark Eintritt bezahlt. „Die Leute sollen ihren Spaß haben, das ist wichtiger als das Kommerzielle.“ Aus Sicht der Künstler stimmt das, Gage bekommen die falschen Promis nämlich nicht. Der Veranstalter macht Gewinn. Gemeinsam mit Kurt Bauer („Kurt's Show-Treff“) organisiert und moderiert Roth Doppelgängertreffen.

Heute allerdings, wo „Udo Lindenberg“ abgesagt hat und „Marilyn Monroe“ kurz vor Beginn erklärt, daß sie nicht singen werde – „Showallüren“, knurrt Roth – muß die Geheimwaffe Ingo Ingwersen ran. Der Tontechniker, der schon beim Soundcheck meint, Türkenwitze zum besten geben zu müssen, bleibt sich während seines 30minütigen Auftritts treu. „Heute feiern wir 10jähriges Jubiläum. Und weißt du, Kurt, was das bedeutet? Wir sind 10 Jahre älter geworden.“ Da weiß Kurt auch nichts mehr drauf zu sagen, die Erkenntnis hat den kleinen Mann im lila Glitzeranzug schlicht umgehauen.

Das Publikum, vornehmlich Mittvierziger aus dem Umland, läßt den peinlichen Satz unbekümmert in den schallschluckenden Wänden der hellgrün gestrichenen Halle versickern. „Der Anrufbeantworterspruch von Harald Juhnke: Bitte lallen Sie nach dem Rülpston.“ Was hätte Derrick jetzt gesagt? Wahrscheinlich so etwas wie: „Harry, manchmal hasse ich unseren Beruf.“ Harry hätte traurig genickt, und beide wären schnurstracks auf die Bühne geeilt und hätte Ingwersen festgenommen. Doch keine Ordnungsmacht ist in Sicht. Ingwersen macht sich die Lethargie des Publikums zunutze und streut einen pointenlosen Witz nach dem anderen unters Volk. Helge Schneider macht das auch. Bei dem lachen die Leute allerdings.

Und so geht's weiter. Ein Adriano Celentano animiert zum Mitklatschen, daß einen das Gefühl beschleicht, bei einer Gruppentherapiesitzung dabeizusein. Michael Jackson I greift sich in den Schritt und hopst wie unter Ecstasy. Das gibt's bei MTV gratis. Jackson II verzichtet auf seinen Auftritt, weil er seinen Vorgänger zu gut findet, und gibt nur noch Interviews. Dann tritt ein Schauspieler namens Mircea Krishan auf, der, selbstverständlich ungeplant und völlig spontan, von seiner Whiskeyflasche weg auf die Bühne gezerrt wird. Er soll ein Gedicht aufsagen. Kostprobe: „Bi ba bu bu, ba bi bu.“ Abgang. Dada oder Gaga? Irgendwo klatscht jemand. Schwarzenegger sitzt mimiklos am Tisch und schaufelt Spaghetti in sich hinein. Ehemänner blicken unverhohlen auf die Uhr.

Und einer guckt enttäuscht. Falko Fischer läßt Kopf und Schultern hängen. „Eigentlich kann ich ja auch singen“, erzählt er. Aber Roth will ihn nicht auftreten lassen: „Der kam zu spät.“

Umsonst die Schminkschichten, die Fischer wie eine animierte Puppe aus dem Wachsfigurenkabinett aussehen lassen. Vergeblich der rosa Anzug. Nur die Kamerateams lassen ihn mit Gitarre posieren und den Elvis machen. Der Fernsehmann freut sich schon: „Das wird bestimmt saukomisch mit dem.“