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Heilen und heulen

Kai Pflaumes Show „Nur die Liebe zählt“ macht Fußballpause: eine Gelegenheit zur Besinnung  ■ Von Thomas Gsella

Alt ist die These, daß die Zeiten nicht nur sowieso, sondern auch für bürgerliche Individualität recht miserabel seien. „Bei vielen Menschen ist es eine Unverschämtheit, wenn sie ich sagen“, hieß es schon vor 40 Jahren; und daß der Freudschen Psychoanalyse jener Gegenstand abhanden kam, den sie zu retten suchte, weiß man ja auch.

Linderung verspricht da die Sat.1-Show „Nur die Liebe zählt“. In den fußballfreien Monaten ersetzt sie die sonntägliche Sportsendung „ranissimo“ und erreicht inzwischen, wenn nicht deren Einschaltquote, so doch deren Prominenz. Kai Pflaume, ein alerter Moderator mit von Pastor Fliege abgeschauter Fähigkeit, sich umso mitfühlender zu gerieren, je entschiedener die Schafe ihm den Buckel runterrutschen können, findet über Zeitungsinserate hinreichend junge Männer und Frauen, denen zweierlei gemeinsam ist: 1) Sie möchten jemanden für sich gewinnen oder eine/n Expartner/in zur Rückkehr bewegen; 2) sie möchten es im Fernsehen tun.

Pflaumes Einzelinterviews im bunten, mit ein paar hundert Zuschauern gefüllten Studio sind nur das Finale aufwendiger Vorfeldaktionen, die als eigenständige Filmsequenzen eingespielt werden und in denen sich der Moderator als allmächtiger Beziehungsmakler profiliert. So wird das dem Zuschauer als entscheidend suggerierte Treffen zwischen Pflaumes Gast und dessen Wunschpartner, der laut Drehbuch Überraschtheit simulieren muß, von Pflaume nicht lediglich vermittelt, sondern auch als märchenhaftes Liebeswunder arrangiert. Schlösser werden angemietet, in denen sich das junge Paar, von der nicht weniger präsenten als erwünschten Kamera zum Glücksgefühl gezwungen, wie Königin und König fühlen darf; Großveranstaltungen bilden die Kulisse, wenn ein Mädchen etwa über Fußballstadionlautsprecher einem Jungen „die Liebe gesteht“. Solcherart „schöne“ Geschichten machen eine kalkulierte Hälfte jedes „Nur die Liebe zählt“ aus und finden zweifelsfrei ihr Recht darin, jungen Menschen, die ohne mediale Zubereitung nicht lieben können, für kurze Zeit das Gefühl zu geben, mit ihr haue es hin.

Die zweite Hälfte besteht aus „traurigen“ Geschichten. In jeder dieser Folgen, die sich gleichen wie die präsentierten Menschen, werden Tränen produziert, die ohne Zuschauer nicht fließen würden. Meist sind es junge Frauen, die teils im Sendestudio, teils im von Plüsch und Nippes zugestellten Wohnzimmer, in das Kai Pflaume samt TV-Team eindringt, von einem Partner berichten, der sie verließ und den sie wiederhaben möchten. Mal geht's ums Baby, das dem Partner ungelegen kam, mal, hört man, hat die Frau nicht mit ihm schlafen wollen, weil sie in ihrer Kindheit vergewaltigt wurde; mal sind es Fragen der Inneneinrichtung, die zum Ende der Beziehung führten.

All das plappern die Figuren vor Millionen, und je näher die Kamera auf sie draufhält, desto näher kommen sie den Gefühlen, deren Ausbleiben sie zu Pflaume trieb. Dann, endlich, passiert es: Hier sind sie Mensch, hier können sie flennen. Die Präsenz des Fernsehens adelt ihre Lebens- und Liebesgeschichte mit jener neuen Qualität, nach der sie deutlich wilder sind als nach dem alten Partner: mit spürbarer Wahrheit nämlich, und einer ungewohnt dramatischen zudem. Denn anhand eines Interviews, das Pflaume jeweils vor der Sendung mit dem/der Expartner/in führte, erfährt die Welt, ob es für Neuaufnahme oder Fortgang der Beziehung Chancen gibt.

Oft vernimmt der bzw. die Heulende ein Nein, und beileibe nicht in jedem Fall verstärken sich danach die Tränen; sehr häufig faßt man sich abrupt, guckt tapfer oder auch erleichtert in die Kamera, nimmt Pflaumes Worte „Du hast es selbst gehört. Es tut mir wirklich leid“ entgegen und darf gehen. Nicht eine Situation, aber ein Leben hat sich geändert: Es ist, mit jener Romantik zu sprechen, deren Kitschform die Sendung beherrscht, beglaubigt.

Derlei wird Leuten, für die der Begriff der Persönlichkeit, mit dem bürgerliche Würde, Privatheit und Intimität konnotiert sind, erbärmlich, scham- und hoffnungslos erscheinen. Gegen die Allgemeingültigkeit dieser Ansicht steht die offensive Überzeugung der von Pflaume Aufgetriebenen, ihr Erscheinen in der Show würde nicht allein nicht schaden, sondern helfen müssen, sei heilenden, im bürgerlichen Sinne therapeutischen Charakters. Die Fernsehkritiker sollten es ihnen glauben. Wenn persönliches Leben keinen anderen Ausweg sieht als eine schweinische Öffentlichkeit, spiegelt diese nur die Hoffnungs- und Würdelosigkeit eines je privaten Grauens, einer fürchterlichen Ereignislosigkeit. „Nur die Liebe zählt“ ist richtiges Fernsehen im falschen. Es führt Opfer vor, aber läßt keine zurück. Darin unterscheidet es sich vom Amoklauf.

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